31.10.11

Die Höhle der vergessenen Träume 3D

Frankreich, Kanada, USA, Großbritannien, BRD 2010 (Cave of forgotten dreams) Regie: Werner Herzog 89 Min. FSK ab 6

Was 1994 in der Chauvet-Höhle im Süden Frankreichs entdeckt wurde und vorher durch einen Bergrutsch für Jahrtausende konserviert war, verwandelt sich durch Werner Herzogs Dokumentation „Die Höhle der vergessenen Träume" in einen höchst reizvollen Zeit-Spagat zwischen den ältesten prähistorischen Abbildungen der Menschheit und der aktuell neuesten Abbildungstechnik, dem digitalem 3D: Riesige, kristallverkrustete Grotten von der Größe eines Fußballfeldes sind mit den versteinerten Überresten riesiger eiszeitlicher Säugetiere übersät. Die Wände sind mit hunderten unberührten Gemälden bedeckt. Sie stammen aus der Zeit der Neandertaler, in der Höhlenbären, Mammuts und Eiszeitlöwen die beherrschenden Spezies in Europa waren.

Diese einzigartige Dokumentation hat alles, was einen großen Film ausmacht: Ein Geheimnis, nie vorher gesehene Bilder und zutiefst Menschliches. Einzigartig ist „Die Höhle der vergessenen Träume" weil die hermetisch abgeschlossene Höhle nur für ganz wenige Wissenschaftler zugänglich ist. Herzog dokumentiert auch die durch restriktive Regeln eingeschränkten Dreharbeiten. Der Regisseur durfte mit nur vier Mitarbeitern ein paar Stunden in den Grotten drehen. Da ist 3D schon wieder ein Widerspruch, weil es einen höheren Aufwand bedeutet. Vielleicht wegen dieser Beschränkungen vertraut Herzog leider nicht auf seine Aufnahmen aus der Höhle, er sucht auch die Reaktionen in den Gesichtern der Besucher und Arbeiter und verlässt die Höhle für ein paar Exkursionen zu anderen Ausdrucksformen früher Menschen, vor allem die aus einem Mammut-Zahn geschnitzte „Venus vom Hohlen Fels" und ihren Schwestern.

Dabei ist Herzog am stärksten, wenn er anhand der atemberaubenden Funde fantasiert oder sie still wirken lässt. Die einzige Zeichnung eines Menschen, könnte in Verbindung von Frau und Bison eine Minotaurus-Geschichte erzählen. Kratzer von Bärentatzen und verschiedenen Gemälden überlagern sich. An anderer Stelle die Handabdrücke einer individuellen Person, erkennbar an ihrem verkrüppeltem kleinen Finger. Paläontologen kümmern sich um die vielen Knochen von teilweise ausgestorbenen Tieren, Schädel, die von glitzernden Calzit überzogen, wie glasiert wirken. Einmal bittet einer der Führer um Ruhe, damit man den Herzschlag hört, den eigenen oder den der mit Kohle eingefangenen Tiere. Zu der schwer vorstellbaren Zeitspanne, die dieser Bilder überbrücken, passt die mittlerweile komplette Digitalisierung der Höhlen per Laser. Typisch für Herzog dabei die Frage an einen Archäologen, der aus dem Zirkusmilieu stammt: Was erfahren wir durch die Bilder von den Träumen der prähistorischen Künstler? Der junge Franzose erzählt daraufhin, dass er nach den ersten Tagen in der Höhle immer von Löwen geträumt hat, von realen, nicht gemalten. Schon die Gegend mit dem Tal der Ardèche und einem natürlichen Brückenbogen liefert reichlich Material für mythische Träumereien. Herzog kommentiert dies selbst mit seiner fast flüsternden, still bewundernden Stimme.

Je weiter sich der Film jedoch von Chauvet entfernt, umso seltsamer werden dabei die Interviewten: Es gibt stolze Wissenschaftler, die beherrscht aufgeregt Neanderthaler-Flöten vorstellen. Schrate, die im Dienste einer experimentellen Archäologie in Felle gehüllt vor der Kamera stehen, während im Hintergrund eine Schnellstraße zu sehen ist und einen Parfüm-Designer, der weitere Höhlen erschnüffeln will.

Acht Beine bei einem Bison, die vielleicht Bewegung darstellen, werden selbstverständlich als Vorform des Kinos angesehen. Um schon mal für zukünftige Historiker vorzudenken, ist es bemerkenswert, dass zwei Deutsche - Wenders und Herzog - die neue Technik der 3D-Dokumentation so virtuos aufgreifen. Man kann an den Königsberger Kameramann Karl Freund und an seine „fliegende Kamera" im Stummfilm Murnaus denken. Aber angesichts dieser Zeichnungen ist das wirklich nur eine Fußnote der darstellenden Kunst.

Herzog wäre nicht der international geachtete Denker mit der Kamera, wenn er dem Film nicht ein ebenso atemberaubendes Postscript anhängt: Er verlängert sein philosophieren über den Wert der Kunst für die Entwicklung des Menschen zu einer absurden tropischen Biosphäre die von den Kühlwassern eines Atomkraftwerks an der Rhone aufgeheizt wird. Die Krokodile gedeihen dort prächtig, ebenso ihre Mutationen. Die Eiszeit ist gar nicht so fern und 30.000 Jahre Entwicklung können scheinbar leicht manipuliert werden.