Dänemark, Schweden, Frankreich, BRD 2011 (Melancholia) Regie: Lars von Trier mit Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg, Kiefer Sutherland, Charlotte Rampling, John Hurt, Alexander Skarsgård, Stellan Skarsgård 130 Min.
Den Weltuntergang genießen
Lars von Trier hebt mit „Melancholia" in den Kosmos ab. Wagner dräut, Vögel fallen vom Himmel, ein Breughel flammt auf, drei Monde leuchten über hyperreal ausgeleuchteten Zeitlupen unglaublicher Tableaus. Dieser galaktische Auftakt knallt derart rein, dass man mit dem Schöpfer in seinen eigenen Zweifel einstimmt: Ist dies von Trier? Dann erdet sich der zweifache dänische Cannes-Sieger mit einer exquisiten Hochzeit, prall von Darsteller-Prominenz. Kirsten Dunst spielt die melancholische Braut Justine, die klarere Schwester Claire ist Charlotte Gainsbourg - in ihrer zweiten Rolle unter von Trier. John Hurt gibt Justines Vater als herrlichen Lebemann, Charlotte Rampling die zynische, zickige Mutter, Triers Dauergast Udo Kier den tuntigen Hochzeitplaner, Stellan Skarsgård einen ekligen Boss. Der Ort, ein luxuriöses Golf-Ressort, geleitet von Claires Mann John (Kiefer Sutherland). Noch leuchten alle Sterne an ihrem Platz, die einzige Katastrophe ist diese Feier, bei der sich das verzweifelte Lächeln der Braut als Lüge erweist und alle sie dafür angreifen. Erst im zweiten, „Claire" genannten Teil droht der neue Planet Melancholia, der sich bisher hinter der Sonne versteckte, die Erde zu verschlingen. Die Pferde werden unruhig, es hagelt am helllichten Tage, immer wieder klingt eine Wagner-Ouvertüre. Justine erwacht aus ihrer ständigen Müdigkeit, der bislang so rationale Mann John verabschiedet sich in den Pillentod als es planetenmäßig echt eng wird, wahrscheinlich exakt „24" Stunden vor dem Ende. Im Totentanz der Planeten schwankt die Erde wie die Handkamera des Films. Nach einem schwesterlichen Kammerspiel schwingt sich die Weltuntergangs-Oper zum großen Finale auf.
2011 scheint das Jahr des himmlischen Kinos zu werden: Nach Terrence Malicks „The Tree of Life" spielt auch der grüblerische Dänenprinz mit den Gestirnen und „Another Earth" folgt am 10. November mit einer Schizophrenie des Blauen Planeten. Von Trier zweifelte selbst angesichts seines überaus eindrucksvollen und bild-gewaltigen Werkes, ob dies ein Film von ihm sei. Deswegen meinte er auch, etwas Skandal machen zu müssen, was in Cannes leider die Aufmerksamkeit vom sehr sehenswerten Film abzog. Oder ist dies typisch für einen bekennenden Depressiven, der sich nur wohlfühlt, wenn die Welt um ihn herum im Chaos liegt? So wie Justine immer fröhlicher wird, je näher Melancholia kommt. Ausgeräumt werden kann auch das alte Vorurteil, von Triers Filme seien frauenfeindlich. Dieser ist es nicht und überhaupt verwechselte man da immer wieder gerne die Botschaft mit dem Boten.
Die Frauen-Version von „Armageddon" ist zwar aus der Perspektive der Menschheit ziemlich existenziell, aber die Frauen Triers kommen beim großen Vergehen ganz gut davon. Andere existenzialistische Kämpfe, die im Kino und beim Dreh einmalig schönen Schmerz bereiteten, bleiben aus. Klar, irgendwann wird auch die eigene Depression relativ. Justine kommentiert, die Erde sei schlecht, niemand werde sie vermissen. Obwohl es um solche Film schade wäre, denn wenn dieser von Trier auch anders ist, wenn die Perspektiven und Bilder des Hubble-Teleskopes wie bei Malick „nur" gewaltigen Genuss ohne konkretes Drama bieten, „Melancholia" bleibt großes Kino. Die Goldene Palme konnte es nach dem Nazi-Theater in Cannes nicht mehr geben, aber Kirsten Dunst wurde als beste Schauspielerin geehrt.