28.3.11

Winter's Bone

USA 2010 (Winter's Bone) Regie: Debra Granik mit Jennifer Lawrence, John Hawkes, Kevin Breznahan, Dale Dickey 100 Min. FSK ab 12

Willkommen in den USA, dem Land der ungenutzten Möglichkeiten, dem echten Amerika, das zwischen L.A. und New York liegt. Hier in Missouri leben die Menschen, die Bush gewählt haben. Gut geht es ihnen deshalb nicht wirklich. In einer elenden Nachbarschaft wird jeder Fremde verdächtigt, und fremd sind schon die vom nächsten Hof. Selbst wenn sie irgendwie auch Familie sind. Hier haust das junge Mädchen Ree (Jennifer Lawrence) mit ihren kleinen Geschwistern in einer ärmlicher Hütte. Die Mutter ist ein Pflegefall, der Vater Jessup muss in einer Woche wieder mal vor Gericht erscheinen. Eigentlich sein Problem, aber als Kaution hat der verschwundene Wiederholungstäter Haus und Hof der Familie eingesetzt. Ree, die sowieso die kleine Farm schmeißt, muss nun auch ihren Vater innerhalb einer Woche auftreiben.

Ihre Fragen an Nachbarn und Verwandte ernten heftigste Ablehnung, die schließlich sogar gewalttätig wird. Rees Schwester würde helfen, doch der Schwager verleiht seinen Pickup nicht. Der Onkel Teardrop (John Hawkes) ist eher Bedrohung als Unterstützung. Selbst Geschwister gehen hier nicht besonders nett oder sanft miteinander um. Doch Ree fragt weiter - furchtlos, entschlossen, oder hat sie einfach keine andere Wahl? Ree erinnert an die Lütticher „Rosetta" der Dardennes oder auch an die 14-jährige Mattie Ross aus „True Grit" der Coens.

So etwas hieße in Italien Neorealismus, in den USA nennt man die hier porträtierten Leute geringschätzig „White Trash", weißer Abschaum. In diesen US-amerikanischen Schulen lernen die Teenager, Babys richtig zu halten und das Gewehr im Gleichschritt zu schultern. Ree lehrt ihre Geschwister mit dem Gewehr für Eichhörnchen schießen. Hier tummeln sich haufenweise Machos mit rekordverdächtig niedrigem IQ und extrem rücksichtslosem Verhalten gegenüber ihren Mitmenschen. So ungepflegt wie ihre Aussprache sind Bekleidung und Sitten. Der Country ist die passende Musik dazu. Doch das Gezupfe, das oft als Auswurf solch furchtbarer Gegenden gering geschätzt wird, wirkt hier wie wärmendes Herdfeuer,

Damit noch nicht genug des Elends, die Haupteinkommensquelle scheint das „Kochen" von Crystal Meth zu sein. Das „Crank", wie es hier genannt wird, verstärkt die Aggressivität. Angeblich soll auch Jessup mit so einem illegalen Labor in die Luft geflogen sein. Ree durchschaut jedoch diese falsche Spur. Angesichts dieser besonderen Exemplare der Gattung Kotzbrocken bleibt den Frauen nichts anderes als eine heimliche Solidarität. Scheinbar, denn letztendlich verteidigen die Weibchen erschreckend brutal ihren Clan ebenso wie die schon immer abschreckenden Leithammel.

Die Landschaft ist ähnlich karg wie der Film selbst, die Temperatur eisig wie der Umgang. Trotzdem fesselt diese Trostlosigkeit. Das liegt zum einen am Spiel von Jennifer Lawrence als, die für den Oscar nominiert war. Und auch an der Aufrichtigkeit des Films. Das Drehbuch entstand nach dem gleichnamigen Roman von Daniel Woodrell, der selbst  in Missouri, in solch einer Umgebung gelebt hat. Gedreht wurde an authentischen Orten mit vielen Laiendarstellern, was man dem Film überhaupt nicht anmerkt.

Der eindringliche „Winter's Bone" zeigt keine kriminalistische, keine spannende Suche. Der Blick liegt auf der suchenden Ree, die fast noch Baby-Speck im Gesicht trägt, aber sich sogar die Hochachtung des gnadenlosen Kopfgeldjägers erwirbt. Dafür muss sie eine grausige Entdeckung machen und wir erleben, wie sich Menschenverachtung noch unter Null versenken lässt. Am Ende hat Ree die Farm zurück gewonnen und die Anerkennung der Gegend. Eine Flucht aus der menschenfeindlichen Tristesse steht nicht auf dem Programm.