15.9.10
Mammuth
Frankreich 2010 (Mammuth) Regie: Benoît Delépine, Gustave de Kervern mit Gérard Depardieu, Yolande Moreau, Isabelle Adjani, Benoît Poelvoorde, Bouli Lanners 92 Min. FSK ab 12
Ein unglaublicher, ein unfassbarer Film. Benoît Delépine und Gustave de Kervern waren schon immer für Werke berüchtigt, die mit „sehr seltsam“, „schräg“ und „skurril“ nicht wirklich beschrieben wurden: In „Aaltra“ stritten sie sich (als Hauptdarsteller) als verfeindete Nachbarn im Rollstuhl quer durch Europa. Mit „Louise hires a serial killer“, der nicht besonders durchschlagenden anarchistischen Reaktion auf eine kapitalistische Werksentlassung, wurden sie weiteren Kreisen bekannt. Jetzt triumphieren sie schon in Cannes mit „Mammuth“, einem Film, der für immer aus dem durchaus gewaltigen Werk Depardieus herausragen wird.
Serge "Mammuth" Pilardosse (Gérard Depardieu ) wird in der Fleischerei verabschiedet - schon dies ein Bild für die Götter der aberwitzigen Bildgestaltung: Langhaarig und sehr verdattert dreinblickend steht er unter lauter maximal desinteressierten Kollegen, um ein unverschämt schäbiges Abschiedsgeschenk in Empfang zu nehmen. Zu Hause packt den simplen Serge schnell die Unruhe, wie gut, dass ihm einige Rentenbescheinigungen fehlen und er diese auf einer Motorrad-Tour einsammeln muss. Diese Tour de Force eines einfältigen Berges von Mann auf einem mächtigen Motorrad, das Mammuth heißt und auch so aussieht, ist Rahmen einer Reihe von absurden bis abartigen Begegnungen und lässt gleichzeitig ein Arbeitsleben Revue passieren. Denn die Regisseure stehen immer auf der Seite der Arbeiter und so sieht man bei diesem großartigen Vergnügen nebenbei, wie sich die Arbeitswelt nicht nur in Frankreich verändert hat. Aus der Mühle wurde beispielsweise ein schickes Medienhaus.
Zwischen knallhart realen Begegnungen mit einer räuberischen Prostituierten und dem surrealen Auftreten einer totenbleichen Isabelle Adjani als Geist eines tragischen Unfalls reichen die immer wieder fesselnden und verstörenden Momente. Von absurdem Dada bis zu sanften impressionistischen Würdigungen des imposanten Körpers Depardieus reicht die Spannweite dieses ästhetisch überaus reizvollen Meisterwerkes. „Mammuth“ huldigt dem Schauspiel-Gott und beweist großen Mut zur Hässlichkeit. Obwohl - ist dies wirklich Hässlichkeit? Oder geben uns Benoît Delépine und Gustave de Kervern die seltene Gelegenheit, richtig hinzusehen, gerade weil ihre Kamera nie „richtig“ steht, weil das Licht nie „gut“ ist? Das wäre der Unterschied zwischen einem Satz, den man herunterliest, und einem, der hängenbleibt, weil man an ihm hängenbleibt. Nicht nur Depardieu hat einen sensationellen Auftritt, hervorragend ist auch die vertraute Schauspielfamilie des Regie-Duos Delépine/de Kervern: Der belgische Schauspieler Benoît Poelvoorde, wird immer wieder besetzt, ebenso „Louise“ Yolande Moreau und Bouli Lanners aus Kelmis bei Aachen. Es lohnt sich, sowohl die Regisseure als auch diese Darsteller im Auge zu behalten, die mit ihrer gegen den Strich gebürsteten Kunst das frankophone Kino bereichern.