Jud Süss - Film ohne Gewissen
BRD, Österreich 2010 Regie: Oskar Roehler mit Tobias Moretti, Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu, Justus von Dohnányi
120 Min. FSK ab 12
Die Filmwelt tut sich weiterhin schwer, den richtigen Umgang mit dem NS-Film zu finden: Kann man ästhetische Qualitäten und künstlerisches Talent würdigen, wenn die kreativen Mitläufer die Augen vor Terror, Krieg und Massenmord verschlossen? Kann man tolle Filme wie „Münchhausen“ genießen, wenn man sich zerbombte Städte und Vernichtungslager außerhalb der Studios und Kinos vorstellt? Wie geht man mit derartiger Durchhalte-Unterhaltung um? Bei „Jud Süß“ ist es klar: Die antisemitische Propaganda, die 1940 unter der Regie von Veit Harlan und strengster Kontrolle von Joseph Goebbels entstand, ist weiterhin verboten. Regisseur Oskar Roehler („Die Unberührbare“, „Elementarteilchen“) geht in „Jud Süss - Film ohne Gewissen“ eine diffizile Konfrontation mit deutscher Film- und NS-Geschichte ein. Er verfolgt das Schicksal von Ferdinand Marian (Tobias Moretti), dem Darsteller des Jud Süß, der an seiner Rolle zerbrach.
Quasi per Akklamation durch Joseph Goebbels (Moritz Bleibtreu) wird Ferdinand Marian (Tobias Moretti) zum Hauptdarsteller des großen Filmprojektes, das die Zuschauer emotional von der Schändlichkeit der Juden überzeugen solle. Marian wehrt sich, wird aber halb überredet, halb gezwungen. Schon während der Dreharbeiten zu dem Lieblingsprojekt von Goebbels spitzt sich die Situation in Marians Umfeld zu. Der Schauspieler, der auf den großen Durchbruch hofft, gibt immer mehr Freunde und Positionen auf. Seine Frau spürt die Gefahr stärker. Sie wird aber als „Viertel-Jüdin“ benutzt, um Marian zu erpressen. Hier gehört der Film uneingeschränkt dem dämonischen Goebbels, dessen Lautstärke immer in Richtung Reichsparteitag tendiert, der aber auch, wenn er seine Maske fallen lässt und Marian einmal direkt zusammenstaucht, für Gänsehaut sorgt.
Der nationale und internationale Erfolg von „Jud Süß“, der sogar vom jungen Michelangelo Antonioni eine positive Kritik erhält, ist nur ein kurzer Rausch. Bei einer Tour durch die Ostgebiete sieht der gebrochene und saufende Schauspieler an der Baustelle für Auschwitz wie sein Film wirkt. Den weiteren Niedergang verfolgt der Roehlers Film im holperigen Schnelldurchgang. Das Ende Marians nach dem Krieg ist nur noch eine Szene lang: Eine letzte Begegnung mit dem ehemaligen jüdischen Kollegen Wilhelm Adolf Deutscher, der Ghetto und KZ überlebt hat und dem Marian versprach, „Jud Süß“ würde kein Propaganda-Film werden. Am nächsten Morgen bringt sich Marian mit seinem Auto um.
Roehler muss sich zur Zeit gegen Vorwürfe verteidigen, er hätte historische Details nicht korrekt abgebildet. Anstelle dieser im Bereich von künstlerischer Freiheit kleingeistigen Erbsenzählerei sollte man lieber genau hinsehen, was der Film als eigenständiges Werk erzählt und dann - wenn man politisch und moralisch argumentiert - wie es um das Gewissen des Films steht. Dass die von Bleibtreu lustvoll dämonisch angelegte Figur des Joseph Goebbels mehr Eindruck macht, als die Hauptfigur Ferdinand Marian muss man wohl unter der „Faszination des Bösen“ verbuchen. Aber noch ein Moment bleibt emotional stark im Gedächtnis: Der „große Volksschauspieler“ Hans Moser, der sich extremst erniedrigt, um für seine jüdische Frau zu betteln. Und doch nur eine großkotzig arrogante Abfuhr von Goebbels erhält. Dass dieses Drama einer Szene nachhaltiger wirkt, als das ganze Elend von Marian, um den sich ja dieser Film dreht, gibt zu denken. Aber das tun auch viele Szenen, die ein eindringliches Bild des Terrors, der Anpassung und der vielen kleinen wie großen Verrate hinterlassen. Sie bringen den furchtbaren und menschenverachtenden Antisemitismus auch emotional auf den Punkt. Der Wahnsinn springt dann aus dem Bild , wenn sich die Frau eines Lagerkommanten als „Perversion“ im Feuerglanz einer Bombennacht vom Juden Süß Oppenheimer begatten lässt, gespielt durch Marian. Das Licht, die Besetzung, das gute Schauspiel, die expressionistische Schatten. Stilistisch ist Roehler exzellent, aber eine durchgehende Atmosphäre des Terrors und des Schrecken, etwa wie in „Das weiße Band“, entsteht nicht.