8.3.22

Vatersland

Vatersland

Deutschland, Belgien 2020, Regie: Petra Seeger, Margarita Broich, Felizia Trube, Bernhard Schütz, 118 Min., FSK: ab 12

Mitten in der Schreibblockade für ein neues Drehbuch wird der Filmemacherin Marie (Margarita Broich) eine Holzkiste voller Fotos, Filmaufnahmen und Erinnerungen aus ihrer Kindheit angeliefert. Zuhause ist es mit Mann und Tochter gerade schwierig, so zieht die erschöpfte Regisseurin zur Arbeit in ein kleines Studio. Beim Durchblättern der Aufnahmen des Vaters, eines Profi-Fotografen, lebt Maries Vergangenheit auf. Geprägt von Krebskrankheit und frühem Tod der Mutter, von Überforderung des Vaters und seinen Versuchen, Maria zum Erledigen des Haushalts zu zwingen. Als das nicht klappt, die junge Teenagerin immer rebellischer wird und der Alleinerzieher mit überall vermuteter Sexualität nicht zurechtkommt, folgt die Abschiebung ins katholische Mädcheninternat.

Am Anfang legt die kleine Maria ein trotziges und schmerzliches Unverständnis gegenüber der nicht erklärten Krankheit an den Tag. Es sind die 50er, eine Zeit, in der Kinder dumm gehalten wurden, ihnen nichts zugetraut wurde. Der strenge Vater bewältigt später Trauer mit militärischer Verteilung der Aufgaben im Haushalt und noch herzloserem Regime. „Vatersland" ist auch Geschichtsstunde einer anhaltenden Nazizeit, wenn die Mutter von ihrer Kindheit und Hochzeit erzählt. Direkt danach musste Vater an die Front. Dieser Rückblick führt zum Aufkochen einer Mischung aus verdrängter Trauer und Schuldgefühlen bei der erwachsenen Marie.

Der sehr leichte Erzählfluss von „Vatersland" lässt das berührende Leben nahezu unmerklich zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen jetzigen Problemen und Erinnerungen hin und herspringen. Dadurch entwickelt sich für die Zuschauer eine Geschichte, an der die Autorin eigentlich noch schreibt.

Der Zwitter zwischen Doku und Spielfilm sorgt für Gänsehaut, wenn die Spielszenen mit privaten Fotos und Filmstückchen der erfahrenen Regisseurin Petra Seeger unterlegt werden. Denn tatsächlich ist „Vatersland" ihre eigene Geschichte. Während das Genre nach dem Vorbild Heinrich Breloers meist berühmte Männer (Speer, Barschel, Klaus Mann...) porträtiert, geht es hier um eine Frau, die früh hörte „Das ist nichts für dich, Mädchen gehören vor die Kamera". Dass Seeger seit Jahrzehnten Dokumentationen für den WDR drehte, erzählt ihr Film nicht. Bekannt wurde sie erst mit ihrem preisgekrönten Kino-Dokumentarfilm „Auf der Suche nach dem Gedächtnis" über Nobelpreisträger Eric Kandel.

Nun werden in einer grandiosen Erzählform sehr mutig eigene Schuld, Gefühle und Erinnerungen offengelegt. Die großartige Darstellerin Margarita Broich, die Frankfurter Tatort-Kommissarin Anna Janneke, spielt mit der ihr eigenen Ruppigkeit Maria wie auch deren an Krebs erkrankte und früh verstorbene Mutter. Die Kamera führt nicht nur in einem magischen Moment des Verzeihens die reife und die junge Maria zusammen. Es gibt auch immer wieder poetisch schöne Bilder. Eine Epoche des Patriarchats bloßlegend sind dann grandiose Szenen, wie die Fotos des Vaters, die eine lachende und feiernde Mutter zeigen, dazwischen geschnitten die Mutter auf Knien in der Küche putzend. „Vatersland" ist das gleichermaßen emotionale wie kluge Meisterwerk einer Frauengeschichte, die für viele steht.

Für den Zeitkolorit sorgten übrigens einige Drehorte in Ostbelgien: Das Katharinenstift in Astenet, ein Campingplatz in Waimes und Malmedy.