14.3.22
Aheds Knie
Frankreich, Israel, Deutschland 2021, Regie: Nadav Lapid, mit Avshalom Pollak, Nur Fibak, Yoram Honig, 109 Min., FSK: ab 12
Der israelische Regisseur Nadav Lapid wurde 2019 mit dem Goldenen Bären für „Synonymes" international bekannt. Die Geschichte um einen ehemaligen israelischen Soldaten, der sich nackt in einer leeren Pariser Wohnung wiederfindet, faszinierte und irritierte gleichermaßen. Ein Effekt, der in der teilweise autobiografischen, israelischen Geschichte „Aheds Knie" noch stärker ist: Ein namenloser Filmemacher reist darin in ein abgelegenes Dorf inmitten der Wüste von Arava, um in der dortigen Bibliothek seinen letzten Film vorzustellen. Dabei denkt er vor allem an sein neues Projekt über die palästinensische Aktivistin Ahed Tamimi, der nach einer Ohrfeige für einen Soldaten im Verhör gedroht wurde, ihre Kniescheibe mit einer Kugel zu zerschmettern. Aheds Knie!
Als X von Yahalom, der jungen stellvertretenden Leiterin der israelischen Bibliotheken, im menschenarmen Wüstenkaff empfangen wird, verhindert deren Geplapper allerdings jeden weiteren Gedanken. Sie wurde hier in der Wüste geboren, aber aufgrund ihres Engagements hochbefördert in das Ministerium für Bibliothekssachen. Es scheint eine erotische Anziehung zu geben, doch was X wirklich beschäftigt, ist ein Formular. Geld für die Reise gibt es nur, wenn er vorher ankreuzt, über was er mit dem Publikum reden wird, und wenn er bestätigt, über bestimmte Themen nicht zu sprechen. In einem wilden Fluss von Gedanken, Bildern und enthemmten Kamerabewegungen spitzt sich das Drama um staatliche Zensur zu.
Nadav Lapid wurde von einem tatsächlichen Gespräch mit einer stellvertretenden Leiterin der israelischen Bibliotheken zu diesem Film-Aufschrei inspiriert. Er meint, dass „die freie Meinungsäußerung in Israel heutzutage zusehendes einer düsteren Wintersonne gleicht, die immer dunkler wird und stirbt. Es gibt geradezu eine Kampagne gegen die Meinungsfreiheit – und an der Spitze dieser Kampagne steht zufällig die Kulturministerin selbst."
„Aheds Knie" ist jedoch weit mehr als diese Anklage und auch mehr als die andere gegen die Unterdrückung der Palästinenser. Wilde Schwenks und eine wackelnde Kamera zeigen das Casting für den Film-im-Film „Aheds Knie", Tanzszenen vom Chauffeur und von terrorisierten Soldaten entspringen der Fantasie des Filmemachers. Von der Mini-Siedlung mit Kulturprogramm geht es mit ein paar Schritten in die atemberaubende Wüste. Während sein Film gezeigt wird, erzählt der Regisseur der Kultur-Beauftragten von einem unmenschlichen Erlebnis seiner Dienstzeit. Es ist ein Durcheinander von Themen wie im wilden Gedankenfluss, zeitweise nervig, der Typ und der Filmstil. Aber aus allem kristallisiert sich ein sehr persönliches Drama um eine scharfe Analyse und ein tiefes Leiden an der israelischen Gesellschaft.
Regisseur X ist kein sympathischer Typ, ein Getriebener, immer unruhig, immer mit seinen Fingern spielend oder gestikulierend. Erst in seiner Wut scheint er ganz aufzugehen. Überhaupt sehr viel Wut überall, am Ende verfolgt ihn ein wütender Mob dumpfer Nationalisten, nachdem er sich nicht an den Vertrag gehalten, und die bittere Wahrheit ausgesprochen hat: „Der Minister sagt, wer unser Land beschmutzt, soll verhungern."