29.3.22

A Hero - Die verlorene Ehre des Herrn Soltani


Iran, Frankreich 2021 (Ghahreman) Regie: Asghar Farhadi, mit Amir Jadidi, Mohsen Tanabandeh, Fereshteh Sadrorafaii, 123 Min., FSK: ab 12

Zwei Tage hat der Gefangene Rahim Zeit, während eines Freigangs seine Dinge zu regeln und vielleicht sogar die Erlassung seiner Strafe zu erwirken. Eine zufällig gefundene Handtasche mit wertvollen Münzen könnte seinen Gläubiger besänftigen und die Freiheit erkaufen. Doch dann kommt alles anders ... Ein Krimi, so klingt es. Doch die Spannung bei Asghar Farhadis Filmen („Nader und Simin - Eine Trennung") liegt in seinen Menschen, in ihren nie einfachen moralischen Entscheidungen. Der Cannes-, Berlinale- und Oscar-Sieger packt erneut mit einer nur scheinbar einfachen Geschichte aus dem Iran.

Ein Mann verlässt das Gefängnis - allerdings nicht, um direkt ein neues Leben zu beginnen. Das Raffinierte an Asghar Farhadis „A Hero - Die verlorene Ehre des Herrn Soltani" liegt im häppchenweisen Preisgeben von Informationen. Die Frau, die den wegen Geschäftsschulden verurteilten Maler und Kalligraf Rahim (Amir Jadidi) empfängt, ist seine Freundin Farkhondeh (Sahar Goldoust). Die beiden lieben sich, sind aber noch nicht verheiratet und müssen sich im Iran deshalb heimlich sehen. Die große Freude beim Paar (und dem fast immer lächelnden Rahim) hat noch einen anderen Grund: Mit den von Farkhondeh gefundenen Goldmünzen hofft er, einen Teil seiner Schulden beim Gläubiger Bahram (Mohsen Tanabandeh) abzubezahlen und seine Haftstrafe zu verkürzen. Dann könnte er seine Freundin endlich heiraten und mehr Zeit mit seinem Sohn verbringen, der bei seiner Schwester lebt.

Dann versagen zufällig Taschenrechner und Kuli beim Goldhändler. Die Bedenkzeit nutzt das Gewissen. Rahim entscheidet sich, die Besitzerin der Münzen zu suchen. Nach etwas holperiger Rückgabe des Fundes durch seine Schwester erfährt die Gefängnisdirektion von der guten Tat. Der auch im Iran übliche Medienzirkus stürzt sich auf den bescheidenen Mann. Er kommt auf Titelseiten und ins Fernsehen. Bevor nach den Gesetzen medialer Heldengeschichten anonym geäußerte Zweifel den Niedergang einläuten. Der versprochene Job wird verweigert, das von einer Wohltätigkeitsorganisation gesammelte Geld kommt nach einen Shitstorm im Internet einem zum Tode Verurteilten zugute. Rahims Weg fordert immer wieder Entscheidungen, die nie das gewünschte Ergebnis bringen.

„A Hero - Die verlorene Ehre des Herrn Soltani" spielt in der Stadt Shiraz, fern von den Tumulten in Teheran. Am Anfang besucht Rahim seinen Schwager an der antiken Stätte von Naqsch-e Rostam. Der Kritiker vom „film-dienst" bemerkte treffend, dass sich im Auf und Ab auf den Gerüsten vor der Grab- und Königsstätte Rahims Aufstieg und Niedergang im Film vorzeichnet.

Während es eine Binse ist, dass die besseren Figuren in Literatur, auf der Bühne und der Leinwand die ambivalenten sind, zeigt Asghar Farhadi hier ungekannte Schattierungen von Grau. Der Regisseur und Autor legte darauf großen Wert: „Im wirklichen Leben bestehen Menschen aus einer Vielzahl von Dimensionen, und unter bestimmten Umständen übernimmt eine davon die Oberhand und wird deutlicher sichtbar. Dies sind ‚graue' Charaktereigenschaften: Sie sind nicht stereotypisch, einseitig. Wie jede Person im täglichen Leben sind sie gegensätzlich, haben antagonistische Tendenzen und sind gespalten, wenn es um Entscheidungen geht."

Die Reihe von Asghar Farhadis Auszeichnungen ist eindrucksvoll: Die Berlinale entdeckte ihn 2009 mit einem „Silbernen Bär" für „Elly", der Geschichte eines Wochenendausflugs ans Meer. 2011 gab es den „Goldenen Bär" für das Familien-Drama „Nader und Simin - Eine Trennung", dazu auch den Oscar als „Bester fremdsprachiger Film". Farhadis französische Produktion „Le passé - Das Vergangene" erhielt in Cannes 2013 den „Preis der ökumenischen Jury". „The Salesman" wurde 2016 erneut in Cannes („Bestes Drehbuch") und 2017 mit einem Oscar ausgezeichnet. Für „A Hero - Die verlorene Ehre des Herrn Soltani" gab es nun in Cannes den Großen Preis der Jury.

Tatsächlich ist es packend, wie Farhadi ohne Verfolgungsjagden oder dauernde Raufereien eine enorme Spannung aufrechterhält. Wir bangen mit diesem bescheidenen Menschen, der immer das Gute will und leicht beeinflussbar zunehmend verzweifelt feststellt, dass ihm alles aus den Händen rinnt. Entscheidend spielen die Situation von Rahims Sohn mit seinen Sprachproblemen und auch eine Todesstrafe am Rande mit. Es zeigt sich erneut, wie raffiniert die Geschichten des iranischen Kinos sind, wie hoch das Niveau der Inszenierung.