23.11.10

Ein gutes Herz


Island, Dänemark, USA, Frankreich, BRD 2009 (The good heart) Regie: Dagur Kári mit Brian Cox, Paul Dano, Isild Le Besco 95 Min.

Dass man bei Meditationsübungen den Zeigefinger und Daumen der entgegengesetzen Hände zusammenführen kann und dann bei dieser falsch verstandenen Entspannung die fünfte Herzattacke bekommt, ist äußert kurios. Es sind solche skurrilen Momente, die der isländische Regisseur Dagur Kári („Nói Albinói“, „Dark Horse“) seinen seltsamen Einzelgängern reihenweise anhängt, die „Ein gutes Herz“ zum außergewöhnlichen Vergnügen machen.

Die misslungene Entspannung führt den alten, griesgrämigen Wirtes Jacques (Brian Cox) im Krankenhaus mit dem gescheiterten Selbstmörder Lucas (Paul Dano) zusammen. Der lebensunfähige, naive und extrem gutherzige Tor will dem Hospital als Dank für die Behandlung eine Samenspende hinterlassen und verschenkt dann das vom Personal für ihn gesammelte Geld draußen auf den kalten Straßen New Yorks sofort an andere Obdachlose. Ohne lange zu fragen, erwählt ihn Jacques zum Nachfolger für sein „House of Oysters“, eine schäbige Spelunke voller schräger Gestalten. Fremde, die sich hierhin verlieren, bekommen eine Bloody Mary mit Tomatenketchup serviert. Der Junge, der unter seinen langen Haaren ängstlich in die Welt hinaus blickt, wird rüde eingeführt in die Kunst, die Stammkunden zu kennen und vor allem nicht zu vergessen, das Geld am Abend in das Tiefkühlfach zu stecken.

Doch der Neuling bricht bald eine von Jacques’ Regeln und bedient einen Kunden freundlich. Der brummige Boss muss einsehen, dies ist kein Naturtalent in Sachen Feindseligkeit. Die Situation eskaliert, als eines Abends eine Ex-Stewardess, die Angst hat zu fliegen, in den Schuppen reingeregnet kommt. April (Schauspielerin und Regisseurin Isild Le Besco) bestellt Champagner, Lucas kann sowieso niemandem einen Wunsch verwehren, schon gar nicht, wenn sie weint. April verbringt die Nacht in seinem Bett, er wie immer darunter auf dem Fußboden. Der nächste Morgen beginnt mit einer von Jacques’ Weisheiten aus dem Handbuch der Frauenverachtung: Champagner sei dazu da, um Erfolge in der Welt des Sports zu feiern, und nicht für Frauen. Doch auch wie der alte Griesgram schließlich nachgibt und wie verdreht er Lucas wenigstens ein schlechtes Gewissen unterschieben will, gerät Brian Cox mit seiner großartig kantige Figur und britisch betontem Furor ganz herrlich.

Jacques, dies wandelndes Wörterbuch unzähliger Substantive des Sich-Schlecht-Fühlens, das beim Lachseminar so unglaublich deplatziert wirkt, ist die Triebfeder des Films. Cox, den man eher aus Geheimdienst- und Gangster-Filmen kennt, hält locker mit ähnlichen Rollen von beispielsweise Jack Nicholson mit. Von seinem unwirtlichen Wirt lernt man nicht nur, dass Brokkoli die Verkörperung des Furzes sei, sondern auch, dass einem ein derartiger - vermeintlicher - Menschfeind durchaus vermitteln kann, das Leben zu schätzen.

Regisseur und Autor Dagur Kári exportiert die dunkle Farbtöne seiner isländischen Filme verlustfrei in die USA. Seine verlorenen Figuren, die bis in zur Weihnachtsgans vor ruppigem Charakter strotzen, reden zwar englisch, sind aber Typen, die man im Skandinavien von Kaurismäki verortet. Kári hat in seinen Filmen schon immer Sonderlinge und Außenseiter zu ihrem Glück (vor-) geführt. Nun gelingt das Happy End nicht für alle, was dem Film eine ganz besondere, bitter-süße Note gibt.