Cannes. Allabendlicher Glamour am Roten Teppich, jubelnde Zuschauer hinter den Absperrungen, emsiges Treiben der Branche mit tausenden Akkreditierten Teilnehmern zwischen Film und Party. Cannes glänzte während der letzten zehn Tage wie immer als Epizentrum der Filmwelt. Mit noch zwei ausstehenden Filmen vor der Preisverleihung am Sonntagabend hinterlässt die Frage nach einem Favoriten jedoch recht ratlose Gesichter. Nur die alte Algerien-Politik Frankreichs sorgte gestern für Aufregung, da wegen des Films „Hors la loi" von Rachid Bouchareb die Sicherheitsvorkehrungen auf das Niveau von G8-Gipfeln verschärft wurden. Die 63. Ausgabe wird ansonsten in der Festivalgeschichte keinen besonderen Platz einnehmen.
Hätte man misstrauisch werde sollen, als Festivalchef Thierry Fremaux nur 19 Filme für den Wettbewerb ankündigte? Übersichtlich blieben auch die besonderen Kino-Momente. Vor allem die üblichen Verdächtigen wie Woody Allen, Ken Loach oder Takeshi Kitano in dieser wieder mal exklusiven Männerriege konnten die Erwartungen nicht erfüllen. Nun bleibt es spannend, was die Internationale Jury unter der Regie von Tim Burton aus diesem mageren Angebot für die Goldenen Palmen, die am Sonntagabend vergeben werden, heraus pickt.
Ausgerechnet ein fünfstündiger TV-Dreiteiler, der am Premierentag direkt im französischen Fernsehen anlief, erwies sich als interessanteste Arbeit: In „Carlos" verfilmte Olivier Assayas die „Karriere" des internationalen Terroristen Ilich Ramirez Sanchez. Auch wenn man direkt alle Hoffnung auf das aktuelle Kino fahren ließ, wurde man bei den „Cannes Classics" gut bedient: Neben einer restaurierten Fassung von Luchino Viscontis „Der Leopard" und „Psycho" mit einer neuen Tonspur gab es auch den „Director's Cut" von „Die Blechtrommel". Einige Minuten mehr verändern den Film nicht wesentlich, machen aber Werbung für eine DVD-Veröffentlichung diesen Sommer. Um den Altersreigen abzuschließen, seien noch die Alt-Rocker namens Rolling Stones erwähnt: Mick Jagger adelte die Vorführung von „Stones in Exile" (Regie: Stephen Kijak), einer Dokumentation über das Entstehen von „Exile on Main Street", dem angeblich besten Album der Musikgeschichte. Da der Film fast jugendfrei ist, kann es mit der Wahrheit über die wilden Sechziger nicht weit her sein.
Kriegs-Lügen
Symptomatisch für ein Festival ohne Überraschungen waren auch die beiden Filme zum Irak-Krieg, die nicht viel Neues erzählten: „Fair Game" von Doug Liman rollt den tatsächlich so passierten skandalösen Verrat einer CIA-Agentin durch Mitglieder der Bush-Regierung auf: Valerie Plame (Naomi Watts) arbeitet seit 19 Jahren für den Geheimdienst, ihr Mann Joe Wilson (Sean Penn) war lange Botschafter der USA in Afrika. Als seine Untersuchungen über Material zum Bau einer irakischen Atombombe ins Gegenteil verkehrt werden, um einen Krieg gegen den Irak zu starten, geht Wilson mit den Fakten an die Öffentlichkeit. Die Bush-Leute rächen sich, indem sie Valerie enttarnen und so das Leben vieler Mitarbeiter in aller Welt gefährden. Eine Schlammschlacht beginnt, in der Wilson alleine gegen das Weiße Haus und für die Wahrheit kämpft. Liman, Regisseur von völlig unpolitischer Unterhaltung wie „Mr. & Mrs. Smith", kann mäßig unterhalten, der große Politthriller ist „Fair Game" aber nicht.
In Ken Loachs „Route Irish" versucht der ehemalige britische Soldat Fergus herauszufinden, wie sein Freund Frankie im Irak umgekommen ist. Sein Wagen wurde auf der angeblich gefährlichsten Straße der Welt, der „Route Irish", die Bagdad mit dem Flughafen verbindet, in die Luft gejagt. Ein iranisches Handy zeigt allerdings ein blutiges Massaker an Journalisten, an dem Frankie teilgenommen hatte. Hatte man ihn aus dem Weg geräumt, weil er diese Morde nicht mit vertuschen wollte? Dabei gibt es doch ein afghanisches Gesetz extra für die US-Cowboys privater Sicherheits-Armeen, das ihnen generelle Amnestie gewährt.
Ken Loach wollte ein Kriegs-Thriller wie Green Zone", hat ihn allerdings wesentlich sparsamer inszeniert. Wo dort durch die Gegend gedüst wird, muss es hier der Chat mit dem Informanten in Bagdad tun. Das ist völlig ok und raffiniert gemacht. Probleme hat der Film, der seinen Helden schließlich zur Folter und Selbstjustiz schreiten lässt, eher in den moralischen Dilemmata, die nicht gut genug ausgearbeitet sind. Da hätte „Route Irish" vielleicht noch etwas Zeit und Feinschliff gebraucht. Aber der ehemalige Cannes-Sieger Ken Loach hatte sich seine Vorschusslorbeeren bereits verdient, ihn empfing ein tosender Applaus im Festivalpalast.
Die Begeisterung ließ sich auch allgemein nicht vertreiben, das Palmen-Logo im Vorspann zu jeden Film bekam regelmäßig Szenenapplaus. Man feiert sich in Cannes selbst als Teil des Hyper-Ereignisses, und als solches kann das größte Filmfestival der Welt auch mal ein sehr schwaches Jahr überstehen.