Die Geschichte ist nicht vergessen
Thessaloniki. „Dust of Time“, diese Liebes-Geschichte in den Stürmen der Historie, ist schon eine Zeit in der Welt. Aber in Deutschland kommt sie perfekt getimt zum Jahrestag des Mauerfalls ins Kino. Denn Liebe einer Frau (Irène Jacob) zu zwei Männern (Bruno Ganz, Michel Piccoli) reicht von Stalins Tod, dem Watergate-Skandal und dem Vietnamkrieg bis zum Fall der Berliner Mauer, umspannt die Erde mit den Stationen in Sibirien, Nordkasachstan, Italien, Deutschland und Amerika. Als Kinder dieser geschundenen Generation agieren Willem Dafoe und Christiane Paul.
Bei der Premiere des Films in Thessaloniki gab der bekannteste griechische Regisseur Theo Angelopoulos mehr oder wenig bereitwillig Auskunft zum zweiten Teil seiner Trilogie zum 20. Jahrhundert. Hinter seiner „persönlichen Interpretation der Geschichte“ steckt die Frage, ob wir Subjekte oder Objekte der Geschichte sind. Sein Blick geht zurück in die Zeit, als „wir glaubten, wir könnten etwas bewegen; als wir mit erhobenen Häuptern auftraten“. Angelopoulos wurde 1935 in Athen geboren, studierte Jura und Literatur in Paris, bevor er in Sechzigern begann, Filme zu drehen. Zu seinen größten Erfolgen des Kulturmenschen, der mit komplexen, extrem langen Einstellungen berühmt wurde, zählt „Landschaft im Nebel“. Eine von vielen filmischen Grenzüberschreitungen, für die ihn die orthodoxe griechische Kirche auch schon mal exkommunizierte.
Wie er über die heutige Zeit denkt, braucht man Theo Angelopoulos eigentlich nicht zu fragen: Griesgrämig und äußerst widerwillig stellt er sich den Fragen, die er in Alt-Griechisch ebenso wie in Französisch oder Englisch beantworten könnte. Irgendwann ist ihm das Niveau der Veranstaltung zu flach, er dreht den Spieß um: „Ich werde jetzt die Fragen stellen. Maria, was sahst du im Film?“
Sein Motto lautet einfach: „Alles bedeutet etwas. Wenn wir unsere Geschichte nicht richtig lesen, können wir auch die Gegenwart nicht verstehen.“ Aber die Trilogie von Angelopoulos ist nicht nur eine Geschichts-Stunde, denn „die Geschichte einer Liebe kann stärker sein, als die große Zeit-Geschichte! Sie beeinflusst etwas in uns, was unbesiegbar ist, was mit dem Leben selbst verbunden ist, mit dem innersten Geheimnis, und das kann nicht besiegt werden.“ Aber es gibt noch einen Grund, weshalb Angelopoulos immer wieder zurück blickt: „Es gibt ein Auslöschen der Vergangenheit für die Gegenwart in heutigem Kino. Ein Trend, den ich nicht bedienen kann.“
Basiert die Frustration eines der größten Regisseure unserer Zeit vielleicht aus mangelnder Anerkennung? Hier gibt sich Angelopoulos entspannt: „Während meiner vierzig Jahre beim Film hatte ich die Chance, zu tun was ich wollte. Es war eine lange Reise, aber immer habe ich einen Hafen erreicht und dann habe ich den nächsten Hafen erreicht. Ich habe kein zuhause außer der Reise. Wenn ich nicht reise, bin ich ein Gefangener.“ Die Nähe zu Homer und Odysseus stellt der Regisseur nicht zufällig her, etwas Poesie gibt es als Zugabe, bevor er wieder prosaisch endet: „Während der Reise träume ich, alles entsteht in der Reise. Mein idealer Platz ist neben jemanden, der fährt, ich fahre selbst nicht, aber sehe mit offenem Fenster die Landschaft. Wenn die Reise in einem guten Film endet, habe ich gewonnen. Auf jeden Fall habe ich eine gute Reise gehabt.“
Bei jemanden, der selbst die Militärdiktatur in Griechenland erlebt hat, muss man fragen, wie viel von ihm in seinen Geschichten steckt: „Ich habe mich nicht umgebracht (wie die Figur von Bruno Ganz), aber alle Figuren im Film sind Gesichter des Regisseurs selber. Was eine Geschichte interessant macht, ist Teil aller Gesichter zu sein: Selbstmord ist ein Teil, Flucht ein anderer.“
„Dust of Time“ war auch für die Produzenten mit Aufnahmen überall in der Welt der schwierigste Angelopoulos. Aber für „Theo ist es kein Problem Geld zu finden. Er ist überall auf der Welt geliebt, es ist wie der Wille Gottes.“ Der letzte Teil der Trilogie wird wieder ganz anders werden, zurück zu Minimalem: „Mein nächster Film wird in Schwarzweiß gedreht. Ich werde sicher Laiendarsteller verwenden. Es gibt Momente, in denen man zurück in die Zeit geht.“