14.8.09

Locarno 2009 Abschluss


Die Piazza ist mein, die Piazza ist mein! In Giuseppe Tornatores sentimentalem Meisterwerk „Cinema Paradiso“ über das Ende eines Kinos gibt es diesen verrückten Alten, der jeden von der Piazza runterschmeißt, der seiner Meinung nach da nicht hingehört. Vielleicht braucht Locarno jemanden, der sagt: Die Piazza Grande ist mein. Die Vorzeigestube des großen internationalen Filmfestivals ließ Qualität vermissen. Zum Zeitpunkt des Führungswechsels eine kritische Situation für das „Swiss Top Event“, das grandios auf der Piazza und ansonsten in provisorischen Kinos stattfindet. Der künstlerische Leiter Frédéric Maire übergibt das Festival an seinen Nachfolger Olivier Père, dem bisherigen Leiter der Sektion „Quinzaine des Réalisateurs“ in Cannes. Zudem erlebte Locarno durch die gewaltige Anime-Retrospektive „Manga Impact“ einen Schub junger Zuschauer.

Bedrohlicher als das Wetter, dass zweimal das Kino-Vergnügen unter freiem Himmel mit Donner und Blitz ertränkte, ist der Ausverkauf dieser modernen Kultstätte anspruchsvollen Kinos. Immer mehr Sponsoren-Busse mit Betriebsausflüglern von Banken oder Versicherungen werden auf die besten Plätze gekarrt, während echte Cineasten an den Rand gedrängt werden. Spätestens als am letzten Samstag „Julias Geheimnis“, Christoph Schaubs (Buch: Martin Sutter) konstruiertes Redestück über das Altern für mäßige Heiterkeit sorgte, wusste man nicht mehr, ob man jetzt vor dem Fernseher oder im Kino sitzt. Und dieses Ärgernis belangloser Unterhaltung begann bereits vor Jahren beim Filmfestival, das gerne mit Cannes, Venedig und Berlin in einem Satz genannt werden möchte. Schon Sandra Nettelbecks „Bella Martha“ war 2001 ein mäßiges Familienstück mit Rührqualitäten, aber ohne große Bilder und Momente. (Daran ändern auch Hollywood-Remake und Oscar-Nominierung nichts!)

Man feierte den japanischen Anime-Film wie noch nie ein Festival zuvor, einige bekamen vom vielen Filmsehen keine viereckigen sondern Schlitzaugen. Doch als große Premiere auf der ganz großen Leinwand lief die eher mittelmäßige russisch-japanische Kriegs-Fantasy „First Squad“ voller simplen Figuren und Klischees. Mit „Pom Poko“ aus dem Studio Ghibli hatte man den besseren, sympathischeren Film im Programm. Und hätte auch noch was für die Umwelt getan - damit es vielleicht nicht mehr so oft unwettert auf der Piazza.

Während sich die Piazza vom Begeisterungspotential her dem Ruhestand annähert und die Anime-Retrospektive „Manga Impact“ als raffinierte Einladung für die „Kids“ im Tessin funktionierte, musste man sich auch Gedanken über den Zustand der Cineasten machen. Wenn eine Dokumentation über die polnische Regie-Legende Andrzej Wajda und seinen ungefähr 50. Film „Katyn“ („Andrzej Wajda: Let’s shoot“) nur halb so viele Zuschauer zieht wie „Les Abitres“, eine Dokumentation über Schiedsrichter bei der Euro 2008, ist das selbst in einer italienisch-sprachigen Region erschreckend. Zum Glück erweis sich im Nachhinein die Dokumentation des in Lüttich geborenen Yves Hinant als lebendige Partie über zwei Halbzeiten lang. Erst in der Verlängerung, als die Deutschen und die Spanier sich nicht wirklich im Finale duellierten und der „schönne“ Italiener das Spiel unaufgeregt abpfiff, ging dem Film die Luft aus.