11.8.09
Coraline
USA 2009 (Coraline) Regie: Henry Selick ca. 90 Min.
„Coraline“ begrüßt schauerlich schon im Vorspann, wenn eine alte Puppe von spitzen, mechanischen Nadelhänden grauslig ausgeweidet wird und als Coraline-Puppe liebvoll wieder zusammengenäht wird. Dies ist kein harmloser Kinderfilm. Vielleicht ein guter Kinderfilm, der viel vom Wünschen und von gefährlichen Verlockungen erzählt. Derweil kommt die echte Coraline mit ihren Eltern im neuen Zuhause an. Coraline ist ein kluges, junges Mädchen, mit Eltern, die immer vor dem Computer zu beschäftigt sind. Von Langeweile und Regen umzingelt, macht sie sich auf, das uralte Haus zu entdecken. Und das Haus bedankt sich mit kleinen Hinweisen auf spannende Geheimnisse. Eines Nachts lockt eine Springmaus sie in eine buntere Gegenwelt, wie bei „Alice hinter den Spiegeln“ ist hier alles anders: Die Mutter kocht, der Vater spielt Piano - oder: das Piano spielt ihn. Coraline heißt Caroline. Alles scheint perfekt, verführerisch perfekt. Nur haben hier alle Lebewesen Knopfaugen aus echten Knöpfen - außer Coraline! Am nächsten Morgen ist der Durchgang wieder zugemauert, doch ein Ausschlag auf der Hand ist verschwunden. Weil die „andere Mutter“ ihn mit Salbe behandelte?
In der echten Welt entdeckt Coraline bei Miriam und April, zwei alten Opern-Walküren aus dem Untergeschoß, dass im Haus mal eine Zwillingsschwester verschwand. Und bei den nächtlichen Besuchen in der Gegenwelt drängen die anderen Eltern immer mehr darauf, dass Coraline doch für immer bleiben möge. Sie müsse sich nur die Knopfaugen annähen lassen...
Im Prinzip zeigen Animationsfilme weniger: Es ist eine reduzierte Künstlichkeit des Studios, die sich die Filmemacher für ihre Geschichten zu eigen machen. Wieso faszinieren trotzdem einige Geschichten von Disney, von Pixar, von Tim Burton oder dem japanischen Studio Ghibli so viele Menschen? Das Geheimnis dieser wunderbaren Welten liegt darin, dass die Macher wie kleine Götter jedes Detail gestalten. Große Regisseure machen das auch, aber ansonsten nimmt man auch gerne die Hintergründe, die Bäume, Blätter, Berge wie man sie passend vorfindet. Nicht so bei Henry Selick, der neben eigenen Kindergeschichten wie „James und der Riesenpfirsich“ auch Burtons schauerlich gutes Stop-Motion-Meisterwerk „Nightmare before Christmas" animierte. Hier ist alles wie erträumt, nichts vorgefunden oder zufällig. Hier gestaltet der Meister wirklich jedes Blatt im Sinne seiner Geschichte - man sieht, erlebt und fühlt es. Unendlich viele fantastische und liebevolle Details vor allem in der Traumwelt Coralines machen diesen Film zu einer einmaligen Reise in ein faszinierend anderes Universum.
„Coraline“ ist ein wunderbarer Animationsfilm, voll mit traumhaften Details und schauerlichen Momenten. Kein Kinder-Horror, eher ein sanft schauriger Film für Kinder und Erwachsene. Das kecke Mädchen mit den blauen Haaren und dem knalligen Regenmantel mag Farben, gärtnert und spielt gerne im Matsch. Coraline wird auf der Suche nach den geraubten Augen anderer Kinder zu einer mutigen Lara Croft. Ihr zur Seite stehen ein sprechender Kater, der erstaunliche Turner Mister B und sein russischer Zirkus der Springmäuse, sowie ein Freund, der hier geschwätzig und drüben beängstigend stil ist. Die Millimeter für Millimeter im Stop-Motion-Verfahren animierten Figuren haben Charakter, so viel Charakter! Auch die Musik ist mehr als nur Hintergrund: Wie alles im Film hat auch sie eine Seele.