22.5.09

Filmkunst auf höchstem Niveau - Cannes vor der Preisverleihung


 

Cannes. „Hier Antworten zu geben, wäre kontraproduktiv. Ich habe sehr viel Aufwand betrieben, um Fragen zu stellen." Michael Haneke äußerte bei der Pressekonferenz, die er locker dreisprachig führte, quasi den Leitsatz des Festivals. Fragen stellen, zum Denken anregen und offene Diskussionen starten, das leisteten die Filme im Wettbewerb der 62. Filmfestspiele von Cannes (13.-24. Mai 2009) mehr als zuvor. Eine Antwort wird allerdings morgen Abend gegeben. Nach einem beeindruckenden Schlussspurt der Teilnehmer Michael Haneke, Elia Suleiman und Isabel Coixet vergibt die internationale Jury um den französischen Star Isabell Huppert die Goldene Palme.

 

Während in den verschiedenen, heiß gehandelten statistischen Auswertungen, die am Ende nichts bedeuten werden, das Gefängnisdrama „Un Prophète" von Jacques Audiard und auch Pedro Almodovars „Los Abrazos Rotos" vorne liegen, fehlte bislang das sensationelle Wohlfühlereignis, dass alle begeistert und sich nachher noch ganz toll im Kino verkauft. Ebenso wird die eierlegende Wollmilchsau keinen Darstellerpreis bekommen. Das Niveau bei durchgehend exzellenten Arbeiten, bei diesem Treffen von vier Palmen-Siegern, vielen Wettbewerbs-Dauergästen und ein paar neuen Teilnehmern, ist so hoch, dass manche auch schon mal den Maßstab verlieren: Werke, die einem im vom US-Mainstream bestimmten Jahresverlauf begeistern würden, laufen hier gleich mehrfach am Tag.

 

Absurde Erbsenzählerei, ob sich etwa eine Krise im geringeren Tiefgang von Luxusjachten entdecken lässt, beiseite gelassen, werden die Filme bleiben. Filme, die eine Herausforderung darstellten. Selten wurde so intensiv diskutiert wie nach Lars von Triers „Antichrist" oder Michael Hanekes „Das weiße Band", der eine moralisch überspannte und in Folge mörderische Jugend im protestantischen Norddeutschland vor Ausbruch des 2. Weltkriegs seziert. Offene Geschichten, die eher Fragen stellen als Antworten geben, liegen im Trend des Autorenkinos. Auf eine der unfassbar naiven und doch immer wieder gestellten Fragen „Was wollten Sie damit sagen?" konnte Lars von Trier nur staunend schweigen.

 

Dass „Antichrist" von der Frauen- und Lustfeindlichkeit des Katholizismus und „Das weiße Band" von einer pervertierten Moral des Protestantismus bestimmt ist, könnte man zu einer Tendenz hochschreiben. Dazu passt denn auch der Vampir/Priester im koreanischen „Thirst". Aber da uns Religionen überall umgeben, ist ihr Auftauchen als Thema unvermeidlich. Nur „Agora" von Alejandro Amenabar stellte im Drama um die frühe ägyptische Wissenschaftlerin Hepatia Aufklärung, freien Willen und gesunden Menschenverstand als Alternative daneben. Ansonsten waren wenig direkte Aussagen, Thesen oder Appelle zu entdecken. Selbst der Geheimtipp „Die Zeit, die bleibt" vom palästinensischen Filmkünstler Elia Suleiman, fasste Jahrzehnte der Besatzung durch Israel fast versöhnlich und poetisch persönlich zusammen.

 

Der Alt-Hippie des fantastischen Erzählens Terry Gilliam („Brazil", „König der Fischer") erinnert fast am Ende des Festivals noch einmal an die Macht einer guten Geschichte, mit der auch der Eröffnungsfilm „Up" brillierte. Und Gilliams Erzählen ist so stark, dass er Tote wieder zum Leben erweckt: Star der Geschichte zwischen Gut und Böse ist der verstorbene Heath Ledger (neben einem teuflisch guten Tom Waits als Mephisto). Für die fehlenden Szenen in atemberaubenden Traumwelten, die nach Ledgers Tod fehlten, springen Johnny Depp, Jude Law, und Colin Farrell ein. Damit hätten wir dann auch wenigstens einen „totsicheren" Kandidaten für den Darstellerpreis: Heath Ledger ehren und Johnny Depp auf der Bühne haben - das wäre selbst für Cannes noch ein Knaller.

 



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Herzliche Grüße,
Günter H. Jekubzik
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