Cannes. Das Festival an der Cote d'Azur hat sich endgültig für einen blauen Himmel entschieden und bleibt auch Tage nach der luftigen Eröffnung mit dem Zeichentrick „Up" ein auffallend buntes Festival, dafür sorgt Ang Lee bei seinem Trip nach Woodstock mit etwas LSD. Ansonsten heißt es nach einem doppelten Johnny (To und Hallyday) heute: Warten auf den „Antichrist" aller Festivals: Lars von Trier.
13 Jahre lang hat Ang Lee keinen „Feelgood Movie" mehr gemacht und sorgte nun mit "Taking Woodstock" für beste Gefühle auf breiter Wettbewerbs-Front. Der amerikanische Menschenfilmer („Das Hochzeitsbankett", „Eissturm", „Brokeback Mountain") aus Taiwan zeigt eine dieser Partys, die es vor 40 Jahren überall auf der Strecke nach Woodstock gab, aus einer sehr persönlichen Perspektive: Elliot Teichberg kehrte zum heruntergekommenen Motel seiner alten Eltern zurück, um den Laden vor dem Bankrott zu retten. Dass die Bruchbuden die Basis für das berühmteste Rockfestival aller Zeiten wird, hätte niemand geahnt. Nicht nur wird das schrottreife Motel rasend schnell von Konzert-Managern und Hippies überrannt, das ganze Dorf steht Kopf. Doch Woodstock ist bei der humorvollen Geschichte von Elliot und Ang Lee nur Nebensache - wenn man 500.000 Menschen, die drei Tage lang feierten wie noch nie, als Nebensache bezeichnen kann. Es sind die anderen Menschen, die sich erst widerwillig und dann voller Lust in den Freudentaumel stürzen, die „Taking Woodstock" zu einem Quell der Lebensfreude machen.
Eher ums Sterben geht es immer beim Hong Kong-Meister Johnnie To, diesmal schickte er die französische Rock-Legende Johnny Hallyday auf den Rachetrip „Vengeance". Das coole Killen von vorgestern kann als Ausrutscher im Wettbewerb oder als Wild Card für einen französisch ko-produzierten Starter abgeschrieben werden. Auch wenn dem Action-Regisseur noch ein paar neue Deko-Ideen für das reihenweise Abknallen einfallen, auch wenn er dem alten Helden Hallyday, der seine Tochter rächen will, fortschreitenden Gedächtnisverlust anheftet (ein Ideen-Klau von „Memento" und dem klug-politischen, belgischen Thriller „Alzheimer", wenn ich mich recht erinnere) – es bleibt dummes Ballern, wenn auch noch so raffiniert inszeniert.
Dass hingegen ein nicht leichtfertig choreographierter, sondern in aller Bestialität ausgespielter Mord reicht, um zumindest Cannes komplett abzuschrecken, zeigt die philippinische Hoffnung Brillante Mendoza. Schon 2008 war er mit „Serbis" im Wettbewerb, nun schockt er mit einer raffiniert gemachten und doch unerträglich brutalen Metzgerei namens „Kinatay" (Schlachterei). Bei dem Gewalttrip mit den gleichen Implikationen wie Hanekes „Funny Games" wird die schreckliche Seherfahrung des Zuschauers in einem unbedarften, jungen Helden gespiegelt, der es am Ende genau so macht, wie das schockierte Publikum: Erst einmal Essen gehen. Keine Empfehlung, aber immerhin ehrlicher als der Spaß am Morden bei Johnnie To.
Und jetzt heißt es Warten auf von Trier: Wird der reisescheue Däne zur Pressekonferenz und zur Premiere von seinem in NRW gedrehten Waldsterben „Antichrist" erscheinen, hat sein Wohnmobil den Weg nach Cannes gefunden? Die Wetten sind gemacht, das „enfant terrible" sorgt schon vor der Pressepremiere heute Abend für Aufsehen. Keine schlechte Webtaktik für das überall laut nach Aufmerksamkeit schreiende Cannes.