5.5.09

Der Junge im gestreiften Pyjama


USA/Großbritannien 2008 (The Boy in the Striped Pyjamas) Regie: Mark Herman mit Asa Butterfield, Jack Scanlon, Amber Beattie, David Thewlis 94 Min. FSK: ab 12

Mit einer sehr seltsamen Naivität nähert sich dieser Holocaust-Film dem Grauen der Konzentrationslager. Es könnte die unfassbare Ignoranz der „Davon haben wir nichts gewusst“-Haltung sein. Doch Autor und Regisseur Mark Herman  („Brassed Off“, „Little Voice“) entwickelte aus dem Roman von John Boyne einen Film ohne drastische Schockmomente, der sowohl bedenklich auch für Jugendliche tauglich sein kann.

Wie im Puppenkasten stehen die Figuren vor der Kamera, die sich am Kran hoch über die Szene erhebt: Da spielen Kinder begeistert Krieg und um die Ecke werden Juden mit Lastwagen abtransportiert. Zu Beginn der Vierziger Jahre scheint es in Deutschland für einige Kinder noch eine heile Welt geben zu können. Die naive Perspektive des achtjährigen Bruno (Asa Butterfield) wird nur erschüttert, weil sein Vater versetzt wird. Der „gute Soldat“ (David Thewlis) feiert stolz den Abschied, nur die eigene Mutter nimmt ihn nicht ernst. Sie amüsiert sich über die Begeisterung des zukünftigen KZ-Kommandanten für seine Uniformen: „Wie damals, als du klein warst.“

Nun zieht die bürgerliche Familie also neben das KZ. Muttern regt sich auf, weil es viel zu nah an der Wohnung des Kommandanten liegt. Und Bruno glaubt, die Häftlinge seien seltsam bekleidete Bauern - sie trügen Pyjamas. Obwohl man die Kinder vom Stacheldraht fern halten will, schleicht sich der einsame Bruno an den Zaun und freundet sich mit dem gleichaltrigen Shmuel an. Das verwöhnte Nazi-Kind meint, es sei gemein, dass er alleine sei, Schmul hingegen mit den anderen spielen dürfe. Denn die Nummer auf dem Pyjama sei doch sicher ein Teil des Spiels.

Es ist diese extreme Naivität des subjektiven Blickpunktes, gepaart mit der Künstlichkeit der Offizierswohnung, die Mark Hermans Drama „Der Junge im gestreiften Pyjama“ so einzigartig macht - selbst in einer Periode mit vielen Filmen zum Thema Holocaust. Zu diesem Blick passt eigentlich nur einer dieser NS-Propagandafilme über die vorbildlichen Lager, eine dieser unverschämten Lügen, die auch im Film vorkommen. Doch über deutlich gesetzte Figuren und Positionen vom strammen Nazi bis zur Mutter, die von Gewissensbissen gequält wird, entwickelt selbst Bruno Zweifel am eigenen Vater. Vor dem dramatischen Finale begeht der Junge allerdings einen bösen Verrat am jüdischen Freund.

„Der Junge im gestreiften Pyjama“ ist tatsächlich auch für junge Jugendliche geeignet, denn er verzichtet auf unmittelbar schockierende Bilder und selbst die Musik von James Horner hält sich zurück. Man muss sich bei der dunklen Rauchsäule am immer strahlend blauen Himmel eigene fürchterliche Gedanken machen. Oder man macht sie sich nicht. Ebenso kann der Berg von Puppen im Keller an die Leichenberge der KZs erinnern. Aber was macht eine Generation, der sich nicht diese Bilder des Grauens eingebrannt hat?

Die zynische „Tragödie“, die den Clou der Geschichte bildet, wird nach kurzem Aufwallen grausam nüchtern verzeichnet, ein bitterer Hohn. Und der finale Missklang, dass einem über den Umweg eines kleinen nicht-jüdischen Jungen das Schicksal von Millionen umgebrachter Juden nahe gebracht werden soll.