15.5.08

Politische Agenda auf Cannes Rotem Teppich


Cannes. Nach den geteilten Meinungen zum Eröffnungsfilm „Blindness“ - scheinbar verläuft der Graben zwischen „unmöglich“ und „ganz interessant“ nahe der Geschlechtergrenze - zeichnen sich weitere Frontlinien einer lebendigen Diskussion zu Filmen und dem Rest der Welt ab.

Auf dem von Fans und Fotografen umjubelten Roten Stufen zum Festivalpalast glänzte zur Eröffnung vor allem Natalie Portman, während Faye Dunaway kurz vorher die Vergänglichkeit all dieser Eitelkeiten vorführte. Dennis Hopper wärmte sich für eine Pokerpartie auf, bei dem Millionen für einen guten Zweck auf dem Spiel stehen. Diese Plattform ist der Jungbrunnen eines Star-Systems, das gleich mehrere Industrien antreibt und seine Bilder von Glanz und Glamour in die ganze Welt schickt. Erfreulich an diesem Glanz von Cannes ist, dass Schein und Sein ganz gut miteinander können. Cate Blanchett zeigte ein derart kunstvolles Kleid, dass man glatt vergaß, dass diese Frau hervorragend Film spielt, engagiert auf der Bühne steht und auch noch ein Theater leitet.

Sean Penn dominierte die Pressekonferenz der Internationalen Jury. Nicht in seiner Eigenschaft als Präsident, sondern mit atemberaubendem Charisma, das er auch außerhalb der Leinwand verstrahlt. Die klassischen Fronten solcher Juryarbeit kristallisierten sich bereits am ersten Tag heraus: Sean Penn antwortete als politischer Mensch auf Fragen zu US-Wahlen und persönlichem Engagement. Der Schauspieler („Mystic River“) und Regisseur („Into the wild“) brachte sogar noch einen Wunschfilm ins Programm ein: „The third wave“ erzählt die Geschichte von vier freiwilligen Helfern bei der Tsunami-Katastrophe. Auf der anderen Seite betonte die iranische Künstlerin und Filmemacherin Marjane Satrapi, dass bei aller Politik auch die künstlerischen Qualitäten der Filme nicht vernachlässigt werden dürfen. Mit „Persepolis“, einem Animationsfilm über ihre Kindheit im Iran, gelang ihr diese Kombination mit holzschnittartigen Zeichnungen.

Zur Illustration dieses Standpunkts lief gestern im Wettbewerb der Zeichentrickfilm „Waltz with Bashir“ des Israelis Ari Folman: In erschreckend simplen und schlechten Zeichnungen erzählt, arbeitet ein israelischer Soldat sein Trauma auf und erzählt von den Massakern in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Shatila im Jahre 1982. Mit Unterstützung der israelischen Armee unter der Führung des späteren Premierministers Sharon wurden am Rande der libanesischen Metropole Beirut 3000 unbewaffnete Männer, Frauen und Kinder von christlichen Falangisten ermordet. Der autobiographische Film basiert auf Interviews mit Kameraden des Regisseurs und kommt als Widersprüchlichkeit einer „animierten Dokumentation“ daher. Doch trotz des ungewöhnlichen Stiles und der ästhetischen Merkwürdigkeiten erschüttert „Waltz with Bashir“ tief. Am stärksten, als die Animation für Realbilder der Opfer und der klagenden Angehörigen Platz macht. Im Herbst kommt die israeilisch-deutsche Koproduktion auch bei uns in die Kinos. Die Frage „Politik oder Kunst?“ bleibt derweil eine schwierige und der Reiz dieses mutigen Glamourfestivals.