12.5.08
Mein Bruder ist ein Einzelkind
Italien/Frankreich, 2007 (Mio fratello é figlio unico) Regie: Daniele Luchetti mit Elio Germano, Riccardo Scamarcio, Angela Finocchiaro, Massimo Poplizio, Diane Fleri 100 Min. FSK ab 12
Italienische Leidenschaft, italienische Geschichte(n) und großes italienisches Kino - das alles bringt der exzellente Autor und Regisseur Daniele Luchetti in seinem sensationell erfolgreichen Familiendrama „Mein Bruder ist ein Einzelkind“ zusammen.
Man nennt ihn Accio (Elio Germano), „das Ekel“, und obwohl sich der kleine Bruder einer Arbeiterfamilie in dem heruntergekommenen römischen Retorten-Vorort Latina alle Mühe gibt, diesem Spitznamen gerecht zu werden - es ist nun mal die Position, die in der Familienkonstellation übrig blieb. Der beliebte große Bruder Manrico Benassi (Riccardo Scamarcio) kämpft mitten in den Sechziger Jahren für die Rechte der Arbeiter. Die Frauen, Mütter und selbst die Schwester umschwärmen diesen Gewerkschaftshelden. Da geht Accio aus Protest erst mal in eine Klosterschule, doch der Katholizismus erfüllt zwar den Zweck der Provokation, kann aber dem widerspenstigen Jungen keinen Halt bieten. Erst bei den Faschisten, die aus der italienischen Geschichte nie richtig weg waren, fühlt er sich wohl. Und steht seinem beneideten Bruder jetzt auch politisch frontal gegenüber. Gegenüber dessen linker Freundin Francesca (Diane Fleri) vertritt Accio trotzig, wenn auch nicht wirklich überzeugt, den faschistischen Gedankenschrott. Was allerdings stimmt in dem ganzen Gehabe des kleinen Bruders ist seine Liebe zu Francesca, die bei diesem Bruderkampf Jahrzehnte überdauern wird...
Sie küssten und sie schlugen sich ... Luchetti gelingt es, um den Kern der bewegten Geschichte eines Bruderkampfes die politische Geschichte Italiens in den 60er und 70er Jahren unterhaltsam zu zeigen. In dem Bruderkrieg, im Zerfall des (Eltern-) Hauses spiegelt sich die Situation des italienischen Staates. In der Polarisierung zwischen links und konservativ ließ dieser die Sorgfaltspflicht für ein funktionierendes öffentliches Leben immer mal wieder vermissen.
Doch das Kunststück von Luchetti liegt im prallen Leben, das er auf die Leinwand bringt, in den Menschen mit Haut und Haaren, mit Leidenschaften, Zweifeln und Abgründen. Zwischendurch könnte man kurz das Gefühl bekommen, diese Geschichte ist etwas vorhersehbar. Doch die dann folgenden Wendungen bis zum Finale machen den Film nur noch größer, verstärken die Emotionen bei diesem starken und klugen Gefühlskino. Sensationell ist der beim Dreh erst 18-jährige Elio Germano, der die Seiten Accios sehr reif spielt.
Daniele Luchetti wurde am 26. Juli 1960 in Rom geboren. Seit den 1980er Jahren arbeitet Daniele Luchetti immer wieder mit seinem guten Freund Nanni Moretti zusammen. Zuerst als Schauspieler in Morettis Filmen. Dieser revanchiert sich, indem er die Hauptrolle in zwei von Luchetti Filmen übernimmt. 1988 drehte Daniele Luchetti seinen ersten eigenen Spielfilm „Domani Accadra“, der international reüssiert und für den er in seiner Heimat den „italienischen Oscar“ David di Donatello als bester neuer Regisseur gewinnt. Mit „Der Taschenträger“ (Il Portaborse, 1991) kommt Luchetti nach Cannes und erhält einen weiteren Donatello. Für „Mein Bruder ist ein Einzelkind“ gab es erneut einen Donatello als Autor des besten Drehbuchs.