14.5.08

Cannes-Eröffnungsfilm: Blindness

Cannes. „Denn mit sehenden Augen sehen sie nicht und mit hörenden Ohren hören sie nicht; und sie verstehen es nicht." Dieses biblische Gleichnis bebildert Fernando Meirelles („City of God", „Der ewige Gärtner") in seinem Cannes-Eröffnungsfilm „Blindness" mit erschütternden Visionen der (Un-) Menschlichkeit, mit Bildern des Sehens und der Blindheit.

Es ist eine mit vielen großartigen Schauspielern besetzte Parabel vom Licht in die Dunkelheit und wieder zurück. Eine Geschichte, die man in dieser Form noch nicht gesehen hat. Das beginnt schon damit, dass die Blindheit nicht dunkel daherkommt, sondern gleißend weiß: „So als hätte jemand alle Lichter angeschaltet!"

 

Sobald die ersten Fälle dieser „Weißen Blindheit" auftreten, erleben wir Fürsorge und ihr Gegenteil. Das erste Opfer wird vom freundlichen Passanten nicht nach Hause gefahren, sondern des Autos beraubt und ausgesetzt. Die Frau des Augenarztes hingegen opfert sich und begleitet ihren erkrankten Mann sogar in die Isolation der Quarantäne. Auch wenn sie dafür vorgeben muss, selbst erblindet zu sein. Unter unmenschlichen Zuständen in einer alten Nervenheilanstalt werden die Blinden sich selbst überlassen und entwickeln politische Systeme, um das Chaos zu ordnen. Doch von Demokratie geht es über eine im Zimmer 3 scherzhaft eingeführte Monarchie schnell zu Diktatur und Terror. Eine Gruppe hortet die Nahrungsmittel und gibt sie nur gegen Geld, Schmuck oder Sex mit den Frauen aus.

 

Einiges ist sehr offensichtlich in dieser Parabel, die reich an Bildern und Ideen ist: Bereits in der ersten Szene hören wir die Erklärung: „Wir waren schon immer blind. Menschen, die sehen und doch nicht sehen." Dramaturgisch verläuft der Film nach den horrenden Zuständen in der Quarantäne etwas im Wohlgefallen. Und doch hat der Brasilianer Meirelles seine Parabel ums Sehen, das ja eigentlich das Fühlen, das Mitfühlen ist, nuanciert gestaltet. Die extreme Situation erlaubt Bilder von Nacktheit, Körper die befreit von den Blicken aufleben. Einige leiden daran, nicht sehen zu können, andere ertragen es nicht, nicht gesehen zu werden. Und der weise Erzähler erwähnt, dass man nun den Menschen tief drinnen, der – wie die Figuren des Films - keinen Namen trage, sehen könne. Da begegnen wir aber auch dem von Geburt an Blinden, der nun gleichgestellt, zum Wolf an seinen Mitblinden wird. Er raubt und vergewaltigt, er zahlt die Gnadenlosigkeit, die er vielleicht erfahren hat, heim.

 

Der Film hingegen verläuft gnädig. Die Reise in die Dunkelheit der menschlichen Seele endet mit einem familiären Traum – fast zu schön, um wahr zu sein. Aber auf jeden Fall verdient dieser sehenswerte Film die Ehre, ideal das Sehen und das Mitfühlen zu Beginn der Filmfestspiele von Cannes sensibilisiert zu haben.