22.5.08
Cannes - Ende gut, alles gut?
Cannes. Ende gut, alles gut? Zumindest bei einigen Filmen im Wettbewerb reißt ein gelungenes Finale das Werk noch aus dem Mittelfeld des mäßigen Interesses. So bleibt zwei Tage vor Ende des Rennens um die Goldene Palme die Hoffnung auf eine Festivaldramaturgie mit perfektem Abschluss.
Festivaldirektor Thierry Frémaux meinte, er hätte noch nie so lange auf die großen Namen warten müssen und am Schluss wären einige noch überraschend in letzter Minute hinzugekommen. So konnten aber auch viele relative Unbekannte im Wettbewerb starten. Dass dieser dann frustrierend ausfiel, lag eher an Themen wie Krieg, Kindesentführung, Mord, Gewalt und der fast vollständigen Abwesenheit von Komödiantischem. Es fehlten aber auch die großen Sensationen, die alle begeistern konnten.
Sowohl des Türken Nuri Bilge Ceylans Familiendrama „Drei Affen“ als auch das brasilianische Gegenstück „Linha de Passe von Walter Salles und Daniela Thomas wurden erst in den letzten Minuten richtig „rund“. Selbst der äußerst durchschnittliche James Gray „Two Lovers“ mit einem fehlbesetzten Joaquin Phoenix als unsicheres Jüngelchen zwischen zwei Frauen, hat wenigstens ein originelles Ende. Clint Eastwoods Drama „Exchange“ um eine allein erziehende Mutter (Angelina Jolie), der die korrupte Polizei nach einer Kindesentführung ein falsches Kind unterschieben will, funktioniert und rührt, wird ganz sicher Kasse machen, ist aber in Sachen Vielschichtigkeit und sensible Darstellung ein recht schwacher Eastwood.
Bleibt die Schuld-Frage. Sie kann nicht ausbleiben in katholisch geprägten Kulturen, wie der Brite Terence Davies („Distant Voices - Still Lifes“) in seinem Meisterwerk „Of Time and City“, der nostalgischen Abrechung eines Lebens im katholischen Liverpool, anklagt. Wie verarbeitet es die junge Albanerin Lorna, dass wegen eines Deals mit zwei Scheinehen ein junger Junkie todgespritzt wird? Die Lütticher Brüder Dardenne lassen der verstörten Frau am Ende eine Scheinschwangerschaft in einem unrealistischen Märchenwald. Hier erfüllt sich der Titel „Das Schweigen von Lorna“. Wie ergeht es einer reichen Argentinierin, die weiß, dass sie einen Menschen überfahren hat, auch wenn die Umgebung ihr versichert, es war nur ein Hund? Lucrecia Martel („La Cienaga“), hypnotisiert die Zuschauer mit diesem Zustand in „La Mujer sin cabeza“. Sie wurde dafür von Arthouse-Cineasten genauso geliebt, wie der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó („Johanna“) für sein kontemplatives „Delta“. Die Geschichte einer Geschwisterliebe in grausam debiler Dorfumgebung wäre in zehn Minuten erzählt. Der Rest ist das wunderschöne, fast paradiesische Erbauung eines schier endlosen Steges und eines Pfahl-Hauses, das auch Tarkowskij gefallen hätte.
Kein gutes Ende nimmt es mit Che. Der Revolutionsführer Ernesto „Che“ Guevara, befreite an der Seite von Fidel Castro Kuba, scheiterte aber bei dem Versuch, das Regime Boliviens zu stürzen. Genau diese beiden Zeiten im Leben des argentinischen Arztes, Freiheitskämpfers, Politikers und Idols schildert Steven Soderbergh in dem zwei Teilen seiner viereinhalbstündigen Epos „Che“. Soderbergh beherrscht sein Metier als Autor, Regisseur und Kameramann derart, dass er sogar mit der Verfilmung eines Telefonbuchs einen Oscar gewinnen könnte. Nun ist das Leben von Che ereignisreich genug, aber der unabhängige amerikanische Regisseur vermeidet jedes Klischee, zeigt Guerilla-Kampf als harte Arbeit, als Dschungelcamp mit Schule, Arzt und strenger Disziplin. In diesem packenden Kampf gegen den US-Imperialismus (auch der Bilder) wird gänzlich auf „Action“ verzichtet und trotzdem ist jede Minute hochspannend. Benicio del Toro wird in jeder Faser zu Che. Was Franka Potente und Matt Damon in diesem spanisch-sprachigen Film zu suchen haben, muss in der Abteilung Insider-Scherze geklärt werden. Wer als letzter lacht, wird sich Samstag Abend entscheiden, dann steigt mit der Preisverleihung der letzte Akt der 61. Filmfestspiele von Cannes. Ende gut, alles gut?