Mit Kunst und Krieg zur Eröffnung
Venedig. Mit der gelungenen Literaturverfilmung "Abbitte" (Atonement) nach Ian McEwan geben die "64. Internationalen Filmfestspiele Venedigs" (29.8.-8.9.2007) gleich zur Eröffnung ein gewaltiges Thema vor: Die Grauen des Kriegs spielen eine zentrale Rolle. In der raffiniert konstruierten Liebesgeschichte und im ganzen Festival, wie der charismatische Direktor Marco Müller in einem seiner programmatischen Interviews erklärte. Zumindest bei der Wahl des Eröffnungsfilms kann man ihm bereits zustimmen.
Mit viel Glamour und cineastischem Gehalt startete Mittwochabend die "Mostra internazionale d'arte cinematografica", die mehr Hollywood als je zuvor und dadurch auch mehr Stars an den Lido bringt. Bislang tummeln sich die Darsteller von "Abbitte" Keira Knightley, James McAvoy, Vanessa Redgrave, die Regisseure Zhang Yimou, Catherine Breillat, Alejandro González Iñárritu, Paul Verhoeven und Kenneth Branagh sowie die Schauspieler Tony Leung, Joan Chen, Michael Caine, Jude Law und Rutger Hauer in Venedig.
"Abbitte", der erfolgreichste Roman des Britten Ian McEwan, wurde weltweit über drei Millionen Mal verkauft und in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Den Leser beschäftigt angesichts der Verfilmung die spannende Frage, wie Regisseur Joe Wrights mit dem Happy End umgeht. Denn im Roman spielt die Autorin Briony mit genau dieser Erwartung und lässt das Schicksal der Liebenden Cecilia (Kiera Knightly) und Robbie im Dunklen. Durch eine arrogante Dummheit von Briony, der eingebildeten, 13-jährigen Schwester von Cecilia, wird Robbie in die Grauen des 2. Weltkrieges geworfen. Die raffiniert selbstreflexive Geschichte erzählt die Ereignisse aus drei Perspektiven samt Überschneidungen. Auch der Film spielt mit seiner Konstruiertheit, nimmt Brionys Schreibmaschinen-Tippen in die Filmmusik auf, lässt es sie später selber als minimale Melodie am spielen und setzt dieses Motiv immer wieder ein. So wird der Sommertag des Jahres 1935, für den Robbie im blutigen Schlachten und Briony als Krankenschwester büßen werden, zum Anfang des ersten und letzten Romans eben dieser Briony.
Trotz der kunstfertigen Konstruktion blieb ist "Abbitte" eine bewegende Liebesgeschichte, auch wenn, wie es Claudia Voigt in einem Kommentar schreibt McEwan "mit der Sehnsucht seiner Leser nach einem romantischen Happyend spielt, wie nur ein großer Schriftsteller das kann, denn das ungetrübte Glück, von dem man träumt, wenn man von einem Happyend träumt, gibt es so eben nur in der Literatur (oder im Kino)." Nun, Regisseur Wright macht seine Sache richtig gut: Sein Film berührt und inspiriert im gleichen Maße. Kiera Knightly beeindruckte schon in Wrights Austen-Verfilmung "Sinn und Sinnlichkeit", sie ist fast perfekt für Rolle der eleganten, lebensfrohen jungen Frau. Kiera hat höchstens etwas zu viel Eleganz und zuwenig Sinnlichkeit. James McAvoy, der Darsteller des Robbie, bringt ein gutes Gesicht mit, in dem Melancholie und Schmerz um den Mund spielen.
Die britische Produktion zeigt die Grauen des Krieges in Frankreich eher mild, fast poetisch. Eine enorm aufwändige Fahrt durch die auf Schiffe nach England wartenden Soldaten im Strandbad Dünkirchen betont die Absurdität des Geschehens. Ganz ernst wird es in Venedig erst in einigen Tagen, wenn Brian De Palma ("Mission: Impossible") in "Redacted" von der Vergewaltigung und Ermordung eines 14-jährigen Mädchens durch US-Soldaten im Irak berichtet. Auch Paul Haggis beschäftigt sich im Kriegsheimkehrer-Drama "In the Valley of Elah" mit dem Irak-Krieg. Er schickt ein Elternpaar, auf die Suche nach seinem Sohn, der dabei verschollen ist. Wem das alles zu grausam ist, geht in einen Italo-Western der Retrospektive oder einfach über die Straße vor dem Festivalpalast an den Strand.