Clooney in “Michael Clayton”, De Palma im Irak
Ist es glaubwürdig, wenn man einen aufrechten Anwalt spielt und gleichzeitig Kaffee verkauft? Bei George Clooney schon: Sein Lächeln vereinnahmt Anspruch und Glamourmagazin gleichermaßen, auf sein Gesicht lassen sich Anti-Kriegs- und Anti-Bush-Kämpfer ebenso projizieren wie Charmeur und Frauenheld. Neben "Michael Clayton", dem Einblick in die innere Verfassung us-amerikanischer (Rechts-) Moral, versucht der Spannungs-Spezialist Brian De Palma mit ungewöhnlichen Mitteln die moralischen Massaker der amerikanischen Soldaten im Irak aufzuzeigen. Mit enormer Wirkung - zumindest in den letzten Minuten.
Am Ende der Woche war die Pressevorstellung erstmals richtig voll: George Clooney spielt die Hauptrolle in "Michael Clayton" und angesichts einer schon in Cannes allgegenwärtigen Medienkampagne, wundert man sich, dass der US-Star nicht lächelnd durch die Reihen ging und den löslichen Kaffee ausschenkte, den es jetzt auch in Pads gibt. Lange wurde spekuliert, wie und mit wem er denn von seinem Sommersitz am Comer See nach Venedig kommt. Wen es interessiert: Durch die Luft mit dem Hubschrauber.
Doch es gibt keinen Grund zu lästern. Wieder einmal wählte Produzent, Autor und Regisseur Clooney ein äußerst anspruchsvolles, gutes und engagiertes Projekt für einen Schauspieleinsatz: Als Anwalt mit Polizeivergangenheit ist "Michael Clayton" der Mann für hoffnungslose Fälle, für Spezialeinsätze. Als die gut geölte Kanzlei seines Chefs (Produzent und Justiz-Spezialist Sydney Pollack) mit der Hundertschaft, die am Milliarden-Fall arbeitet, in Panik gerät, muss Michael aushelfen. Allerdings droht der manisch-depressive Kollege Arthur nicht nur auszurasten, er scheint auch zur Gegenseite zu wechseln. Detailliert und elegant führt der auf ungewöhnliche Weise spannende Film von Tony Gilroy die wirtschaftlichen und persönlichen Hintergründe eines Vorgangs auf, der so oder ähnlich täglich mehrfach auf den Wirtschaftsseiten übersehen wird: Ein Nahrungsmittelkonzern brachte seine krebserzeugenden Produkte wissentlich in die Haushalte. Während der Problemlöser Michael mit seinen eigenen Spielschulden, mit seiner Scheidung und dem drogensüchtigen Bruder nicht fertig wird, entgleitet ihm auch dieser Auftrag. Mit der Eleganz und Effizienz eines Killers tritt er an, doch müde Augen verraten die innere Leere.
Besonders eine Volte der Montage überrascht bei "Michael Clayton" aufs reizvollste und schlägt wie eine Bombe ein. So etwas erwartete man selbstverständlich von Brian De Palmas Irakkriegs-Film "Redacted" (Zensiert). Teils Mediensatire mit geschwärzten Zeilen und Opfer-Augen, teils erschütternde Anklage, folgt der einstige Hitchcock-Epigone einem Trupp amerikanischer Soldaten in der Stadt Samara. Unter ihnen der angehende Regisseur Sally, der mit dem Sold sein Filmstudium finanzieren will. Eine andere Perspektive der vorgeblichen Dokumentsammlung bringt ein französisches TV-Team ein, dazu gibt es Internet-Blogs und -Filme. Unbedarftheit und Menschverachtung gegen über den "Sand-Niggern", die von den jungen Soldaten respektlos kontrolliert werden, übertreffen sich in atemberaubender Weise. Lüsterne Leibesvisitationen an Schülerinnen sind an der Tagesordnung und im Suff beschließt man, ein Mädchen in deren Haus zu vergewaltigen. Nach dem Verbrechen, bei dem fast die ganze Familie ermordet wird, verbrennt man die Leiche des Opfers. Wegsehen ist die am wenigsten widerwärtige Wahl, die in der Truppe getroffen wird. "Just watch and do nothing" (Nur zusehen und nichts tun), dementsprechend auch ein Kernsatz, den der Film seinem Publikum schmerzlich ins Gewissen schreibt. Doch nicht die Montage verschiedener, scheindokumentarischer Perspektiven, erst die Folge von Originalfotos ermordeter und verstümmelter Iraker zu Puccinis Tosca-Hit "E lucevan le stelle" ließ einen Kinosaal erschüttert und schweigend zurück.