16.2.07

Glänzende Leerpackung

Strahlende Enttäuschung: Berlinale-Wettbewerb

Berlin. Das Bild war symptomatisch: Die Frau mit dem weißen Kleid und dem ernsten Gesicht posierte Ewigkeiten in den affigsten Verrenkungen auf dem Roten Teppich. Der Film konnte warten, auf ihn auch mehr als Tausend Zuschauer. Hat Jennifer Lopez nun ein Anliegen oder einen neuen Job als Fotomodell? Engagierte Frau oder absurde Modepuppe? Eine Gesellschaftskrankheit hatte die 57. Berlinale im Griff: Nur schnelle Schlagzeilen, der Star im Blitzlicht zählen und im besseren Falle wird auf diese Weise ein Anliegen transportiert. Stars gab es zahlreich, gute Filme dazu selten.

Nur gut gemeint war nicht nur "Bordertown", in der Lopez als karrieregeile US-Journalistin die Morde an zahllosen mexikanischen Billiglohn-Frauen aufklären will. Die Verquickung von Ausbeutung, Unterdrückung und Vergewaltigung mit Freiem Welthandel, Globalisierung und Unterhaltung brachte den Opfern und Angehörigen weltweite Aufmerksamkeit und Lopez einen 'Artists For Amnesty'-Award.

Grausam gut gemeint
Nur gut gemeint war auch der unsäglich geschichtsklitternde "Goodbye Banfor", in dem ein weißer Wachmann mit seinem großen Herzen (Joseph, der untalentiere Fiennes) die Befreiung Südafrikas herbeigeführt hat. Eine Unverschämtheit von Bille August ("Fräulein Smilla", "Das Geisterhaus"), ausgerechnet am 11.Februar, dem 17. Jahrestag der Befreiung von Nelson Mandela. Die ehrenwerten Legenden Paolo und Vittorio Taviani ließen die Grausamkeiten des türkischen Völkermordes von 1915 auf der Leinwand aufleben. Über eine Millionen Armenier, zwei Drittel der Bevölkerung, wurden massakriert, geköpft, gekreuzigt, vergewaltigt, in Schluchten gestürzt, auf tödliche Hungermärsche gezwungen. "Das Haus der Lerchen" ist ein gut gemeinter, aber grausam schlecht gemachter Botschaftsfilm.

Positive Überraschungen gab es, wenn Themen mit eigentlich unpassenden Genre-Mitteln präsentiert wurden: Der brillante "In memoria di me" von Saverio Constanzo ("Private") zeigt einen jungen Mann, der Mönch werden will. Die Tage und Nächte unter dem Schweigegelübde sind innere Reflektion, aber in Bild und Ton so spannend wie ein Hitchcock. Petzolds "Yella" machte aus kalter Wirtschaftswirklichkeit ein Psycho-Puzzle. Britische Schauspielkunst verführte mit Cate Blanchett und Judie Denche in "Notes on a scandal", dem Drama einer frustrierten, überforderten Kunstlehrerin. Und die alte Rock-Röhre Marianne Faithfull amüsierte im Herzens-Favorit "Irina Palm" als freche Großmutter im Bordell.

Oft haben die Schauspieler wie Jennifer Lopez die Regie übernommen, "Bordertown"-Nebendarsteller Banderas verfilmte seine Jugend in Malaga, Steve Buscemi nach Vorlage des Niederländers Theo Van Gogh so ein absurdes "Interview", wie es hier in Berlin tausendfach ablief. Sarah Polley versuchte sich an einer Krankheitsgeschichte und Julie Delpy schoss mit ihren "2 Jours a Paris" umwerfend komisch den Vogel ab: Witziger und schneller als es Woody Allen je war, lässt sie ein französisch-amerikanisches Pärchen Klischees der Völkermissverständigung durchleben.

Viel Drumherum
Während der Kramladen Panorama die Spezialisten dieser Sektion enttäuschte, erwies sich das mit "Generations" neu benannte Fest des Kinder- und Jungendfilms als dauernder Quell der Freude. Das "Forum" lieferte wie gewohnt Exzellentes abseits des Mainstreams am laufenden Band, etwa das deutsche Wintermärchen "Jagdhunde". Doch passend zu einer extrem breit aufgestellten Berlinale, mit kulinarischem Kino, Ausstellungen und Installationen neben den obligatorischen Partys, Prommis und Premieren fand der Höhepunkt des Festivals außerhalb der Kinos statt. In der Deutschen Oper gab man des Kanadiers Guy Maddin modernen Stummfilm "Brand upon the brain". Zwischen Frankenstein und Vampirismus fesselt die schräge Fantasie mit dem live aufgeführten Soundtrack und der Erzählerin Isabella Rosselini. Großes, bewegtes Kino wie vor hundert Jahren. 2007 herrschte eher Stillstand.