4.1.06

Sommer vorm Balkon


BRD 2005 (Sommer vorm Balkon) Regie: Andreas Dresen, Drehbuch: Wolfgang Kohlhaase mit Inka Friedrich, Nadja Uhl, Andreas Schmidt, Stefanie Schönfeld 110 Min.
 
Berlin, um die Ecke: Kathrin (Inka Friedrich) und Nike (Nadja Uhl) thronen auf dem Balkon ihres Eckhauses im Berliner Osten, genießen den Sommer, kippen die kleinen und großen Sorgen runter. Kathrins pubertierender Sohn Max will seiner ersten Liebe mit Joggingschuhen für 120 Euro imponieren. Ein absurder Preis, nicht nur für die Arbeitslose. Die kesse Nike düst als sehr mobile Altenpflegerin durch die sommerliche Stadt, trifft seltsame, tolle, verstörte Senioren, aber nicht den richtigen Mann. Und auch Kathrins Apotheker lächelt immer nur. Dann kommt das Schicksal mit einem 30-Tonner auf sie zugerast, kann gerade noch bremsen und als Fernfahrer entspringt der Hallodri Ronald (Andreas Schmidt). Der landet dann auch bald im Bett von Nike und bleibt einfach da.
 
Das bringt die Freundschaft aus dem Gleichgewicht: Kathrin steht mehr und mehr allein da, mit den Schulden, dem unglücklich verliebten Sohn und dem Alkohol, dem sie nicht widerstehen kann. Es sind zwei unterschiedliche Frauen, diese nicht mehr in jeder Hinsicht jungen Freundinnen. Nike gibt sich mit Berliner Schnauze und sehr kessem String frech. Sie macht Männer reihenweise an, während die stille Kathrin nur mit dem Apotheker flirtet.
 
Sie und ihr Leben schildert Dresen mit Bildern des Viertels voller filmischer Alltagspoesie, mit Wohnsilos hinter Erika in Balkonkästen. In Wort und Bild findet sich ein ganz stiller, feiner Humor: Bei einer Bewerbung erfährt Kathrin nebenbei, dass heute "Frauen ohne Kopf gesucht sind" - Schaufensterpuppen meinte der Dekorateur, doch der Autor Kohlhaase sagt mehr damit.
 
"Sommer vorm Balkon" brachte auch zwei bemerkenswerte Filmemacher zusammen: Der 1963 in Gera geborene Andreas Dresen gehört mit "Nachtgestalten" (1999), "Halbe Treppe" (2002) und "Willenbrock" (2005) zu den interessantesten jüngeren Regisseuren Deutschlands. Er studierte an der "Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf" in Potsdam-Babelsberg.
Der 1931 geborene Kohlhaase drehte noch selbst mit Konrad Wolf - eine andere Generation. Er schrieb und inszenierte zusammen mit dem Sohn des Schriftstellers Friedrich und dem Bruder des Geheimdienstlers Markus Wolf 1980 "Solo Sunny", vorher schrieb er mit "Berlin um die Ecke" einen der berühmten "Verbotsfilme". Passend zum Mauerfall gab es 1989 nach seinem Buch den Einbruchsfilm "Der Bruch" und letztlich den ganz jungen "Baby" von Philipp Stölzl.
 
Die Mischung aus dem leichten "Dresen-Realismus" und Kohlhaase meisterlicher Feder zaubert einen Hauch von Melancholie herbei, aufgesetzte soziale Larmoyanz bleibt fern. Heitere Liedchen von Strandbikinis und eine kleine Filmmusik begleiten diesen lauen Sommer. Die Freundinnen singen mit Nana Mouskouris: "Was kann uns schon geschehn, du weißt, ich liebe das Leben!" Oder um es mit Nikes einfach weisen Worten zu sagen "So ist das Leben - aber wirklich!"