19.1.06

The Big White


USA 2005
 
Regie:       Mark Mylod
Drehbuch: Collin Friesen
Kamera:       James Glennon
Schnitt:       Julie Monroe
Kostüme:       Darena Snowe
Produzenten:       Chris Eberts, Christopher Roberts, David Faigenblum
Darsteller: Robin Williams (Paul Barnell), Holly Hunter (Margaret Barnell), Giovanni Ribisi (Ted), Alison Lohman (Tiffany), Woody Harrelson (Raymond Barnell), Tim Blake Nelson (Gary), W. Earl Brown (Jimbo)
Länge: 100 Min.
Verleih: 3L
Kinostart: 9. März 2006
 
Es gilt die Wiederentdeckung von Robin Williams zu feiern. Trotz ambitionierter Rollen etwa als psychotischer Photo-Entwickler in "One Hour Photo" oder als hinterhältiger Killer in "Insomnia" geriet der einstige Stand Up-Comedian nach der Abkehr von grobschlächtigeren Komödien ("Mrs. Doubtfire") so aus dem Radar des Interesses, dass man begeisterte Nachfrager(innen) immer korrigieren musste: Nein, nicht mit Robbie, mit Robin Williams sei der Film. Nun zeigt Williams sich inmitten endloser Schneemassen und eines eindrucksvollen Casts als einfühlsamer Komödiant und es ist eine Freude, ihn so zu sehen.
 
"The Big White" beginnt und bleibt schräg, nicht nur im Kamerawinkel: Holly Hunter, nur mit Pyjama und Pantoffeln bekleidet, schlurft durch eine große, schneebedeckte Weite. Wie beim Zielsprint springt sie über eine imaginäre Gemeindegrenze bevor sie der Orts-Polizist wieder einfängt. Die verwirrte Margaret Barnell wird von ihrem Mann Paul (Robin Williams) liebevoll gepflegt. Obwohl dem braven Reisebürochef die Schulden und Sorgen über den Kopf wachsen. Eines Tages präsentiert ein Müllcontainer die Lösung und die tragikomische Wende im kleinen, verzweifelten Leben von Barnell. Zwei besonders dämliche Gangster lagern dort eine Leiche zwischen, die sie im Dienste der Mafia vom Leben zum Eisklotz befördert haben. Barnell findet sie, ist erst entsetzt und fängt dann an zu kombinieren. Es fehlt ihm nämlich eine Leiche zum - wenigstens finanziellen - Glück. Vor Jahren verschwand sein Bruder Raymond und die herzlose Versicherungsgesellschaft will dessen höchst wahrscheinlichen Tod nicht akzeptieren, sprich: nicht mit der riesigen Versicherungssumme rausrücken. Nun lagert der liebende Bruder den Ersatzmann für das Bruderherz in der Tiefkühltruhe ein, inszeniert ein paar rührende Begrüßungsmomente vor Fast-Zeugen und bereitet die Leiche besonders appetitlich zu, damit sie am nächsten Tag von Bären und Wölfen angenagt, aber aufgrund geschickt platzierter Details immer noch als die seines Bruders erkennbar gefunden wird.
 
So weit, so rührend naiv. Man weiß ja, spätestens seit "Fargo", wie es endet, wenn brave Bürger mal ein wenig kriminell sein wollen. Die Mafia vermisst einen Arbeitsnachweis ihrer Killer, ein besonders scharfer Versicherungsagent (Giovanni Ribisi macht in Slapstick) traut dem Frostbrand-Braten nicht und zur Krönung taucht auch noch der verlorene Bruder Raymond (Woody Harrelson) auf - leibhaftig sowie gefährlicher und durchgeknallter als je zuvor. Kein Kain und Abel war bislang so mörderisch komisch.
 
Das mag jetzt rassistisch gegenüber allen Nordlichtern sein, aber allein durch die dicken Daunenjacken mit den kleinen, verzweifelten Menschlein drin ist "The Big White" einfach komisch. Dazu tut die Kamera ein Übriges, nimmt mal die Perspektive eine wahnsinnigen Pinschers ein, mal die gewagte Innenansicht eines Müllcontainers. Und selbst eine angefressene Leiche macht noch witzige Grimassen. Eine gelungene schwarze Krimi-Komödie einerseits. Die übliche Variante von "Fargo" und Co trotzdem nicht, dazu bringen vor allem die Frauen zuviel Herz hinein. Ein Glanzlicht ist Holly Hunter: Wenn Margaret ihrem Tourette-Syndrom voll die Zügel gibt, herzerfrischend flucht, weiß man nicht, ob man lachen oder leiden soll. Nur anrührend dagegen, wie Paul damit umgeht, auch wenn er daran selbst fast zugrunde geht. Dazwischen gibt es noch eine verrückte Geiselnahme, Situationskomik mit Rentieren, viele originelle Bildideen und -perspektiven. Nicht vergessen sollte man Alison Lohmans Tiffany mit einer sehr unkonventionellen Telefonberatung, noch eine dieser herzlich erfrischenden Figuren bei dieser in vieler Hinsicht positiven Überraschung abseits von den starren Formeln des Mainstreams.
 
Günter H. Jekubzik