Frankreich 2020 Regie: Mia Hansen-Løve, mit Vicky Krieps, Tim Roth, Mia Wasikowska, 113 Min. FSK: ab 12
Die exzellente und in der Film-Szene bestens vernetze französische Regisseurin Mia Hansen-Løve erzählt erneut autobiografisch und äußerst kunstvoll. Nach dem Selbstmord ihres Ehemannes, des Produzenten Humbert Balsan, in „Der Vater meiner Kinder" (2009), folgten ebenfalls biografisch „Eine Jugendliebe" und der Musikfilm „Eden" auf Basis von Erfahrungen ihres Bruders Sven Hansen-Løve. Nun lebt sie mit dem berühmten Regisseur Olivier Assayas zusammen und ihr neuestes Werk führt ein Paar Filmemacher auf genial verspielte Weise ins schwedische Haus der Legende Ingmar Bergman.
Das Künstlerpaar Tony (Tim Roth) und Christine (Vicky Krieps) reist zur Bergman-Woche auf die Insel Fårö. Beide wollen ihre nächsten Drehbücher schreiben, der bekannte US-amerikanische Regisseur wird dazu sogar in das Haus einquartiert, wo „Szenen einer Ehe" (1973) gedreht wurde. „Der Film, wegen dem sich Millionen scheiden ließen", kommentiert die 25 Jahre jüngere Christine angesichts des Betts aus dem Film lachend. Während die beiden Kreativen Bergman-Filme sehen und historische Drehorte besichtigen, bleibt ihre Beziehung seltsam distanziert.
Schon vor einem raffinierten Rollenwechsel beim Film-im-Film begeistert „Bergman Island" mit seiner genial verspielten Atmosphäre. Die Leichtigkeit von Mittsommernacht und Nouvelle Vague lässt Fahrrad-Ausflüge zu Stränden und aus Bergman-Klassikern bekannten Wäldchen genießen. Während Tony versetzt wird und die tatsächlich existierende „Bergman-Safari" im Bus mitmacht, bekommt Christine ihre persönliche Tour durch einen mysteriösen schwedischen Filmstudenten.
Ihre Arbeit läuft allerdings nicht so leicht: Während Tony seinen auch sexuellen Fantasien seitenlang freien Lauf lässt, kommt Christine mit ihrer Geschichte nicht weiter. Als sie ihm diese erzählt, lässt er sich immer von Anrufen seines Produzenten unterbrechen. Dabei ist diese Binnen-Erzählung wundervoll beziehungsreich und reizvoll: Mia Wasikowska spielt Regisseurin und Hochzeitsgast auf der gleichen Insel Fårö, mit der gleichen Bergman-Leidenschaft. Ihre Figur Amy trifft nach Jahren die unglückliche Liebe ihres Lebens wieder. Dabei streift die Geschichte Orte der Rahmenhandlung und der Epilog treibt das großartige Wechselspiel noch weiter...
„Bergman Island" lief im Wettbewerb in Cannes, was bei der Vernetzung von Mia Hansen-Løve keine Überraschung ist. Dass so ein wundervoller Film nicht die Goldene Palme gewann, ist dagegen fast schockierend. Aber die Jury wählte mit „Titane" das Laute, Grelle, anstelle der feinen Filmkunst. Auch wenn sich der Bergman-Hintergrund auf Wiki-Wissen beschränken sollte, bietet „Bergman Island" großen Film-Genuss. Es erklärt sich von allein, dass bei der Privatvorführung in Bergmans Kino trotz Mühen kein fröhlicher Film gefunden werden kann – und nachher regnet es auch noch.
Neben allen Spielereien geht es der Partnerin von Olivier Assayas („Carlos – Der Schakal", „Die wilde Zeit", „Die Wolken von Sils Maria", „Personal Shopper") selbstverständlich darum, wie Frau in einer Partnerschaft zweier Filmemacher*innen gegenüber dem erfolgreicheren Mann die kreative und persönliche Unabhängigkeit bewahren kann. Die luxemburgische Schauspielerin Vicky Krieps wächst in der Hauptrolle Christines über sich selbst hinaus. Sie stellt mit sehr natürlich wirkendem Spiel sogar ihren sensationellen Part in „Der seidene Faden" (Phantom Thread) neben Daniel Day-Lewis in den Schatten. Äußerst gelassen zurücktretend daneben der Superstar Tim Roth in der Rolle des Erfolgsregisseurs. Der sich am Ende vielleicht um das gemeinsame Kind kümmert, während die Frau den Film macht.