20.10.20

Ema


Chile 2019 Regie: Pablo Larraín, mit Mariana Di Girolamo, Gael García Bernal, Paola Giannini 102 Min.

Grandioser Tanz-Film zu den Klängen des Reggaeton, bewegendes und entgrenzendes Beziehungsdrama, flammender Emanzipations-Kampf, packendes Meisterwerk. Mit „Ema" zeigt sich der chilenische Regisseur Pablo Larraín so gut wie in „No" und „Neruda", ebenso (gesellschafts-) politisch, aber diesmal auch ungemein sinnlich.

Eine riesige glühende Sonne im Hintergrund der Tanz-Bühne erinnert an das Feuer, das eine Familien-Katastrophe ausgelöst hat: Als der gerade adoptierte Polo ein böses Unglück verursacht, geben ihn seine neuen Eltern Ema (Mariana Di Girolamo) und Gastón (Gael García Bernal) zurück ans Jugendamt. Die junge Tänzerin bereut allerdings später diesen Schritt und setzt Himmel und Erde in Bewegung, um Polo von seinen neuen Eltern zurück zu bekommen. Was wörtlich zu nehmen ist. Mit vollem Körpereinsatz stürzt die Blondierte mit dem mal verführerischen, mal brutalen Gesicht in ein atemberaubendes Beziehungs-Wirrwarr. Mit einem Ende, auf das Hitchcock und Almodovar neidisch sein könnten. 

Eine lose Folge aus Tanz, Gesprächen und Handlung situiert das Drama Emas. Vom ersten Moment an finden Regisseur Pablo Larraín und sein Kameramann Sergio Armstrong fantastische und faszinierende Bilder, die eine emotionale Extremsituation nicht nur begleiten, sondern vielfältig ergänzen. Neonfarben sind ganze Straßenzüge Valparaísos ausgeleuchtet. Immer wieder sehen wir Ema mit ihrer rauen Frauengang in Reggaeton-Tanzszenen vor ungewöhnlichen und eindrucksvollen Orten. So ist selbst poetisch, wie Ema mit dem Flammenwerfer durch die Stadt geht, nächtens Autos, Ampel und Denkmäler abfackelt.

Zwischen dem älteren Choreografen Gastón und den jungen lokalen Tänzerinnen ergibt sich eine knackige Diskussion über die Qualitäten des diesen Film bestimmenden Tanzes Reggaeton. Nebenbei entspannt sich auch die Frage, ob zwei kreative, ungewöhnliche Menschen ein Kind adaptieren dürfen. Ema musste dafür jedenfalls die zuständige Sachbearbeiterin bearbeiten. Emas extreme Form von Mutterliebe, zu vergleichen mit koreanischen Auswüchsen wie „Mother", ist keine brutale Rache. Nur ein brutal raffinierter Plan, ausgeführt mit extremer, gnadenloser Entschlossenheit. Die einfältig sexistische Beschreibung „promiskuitiv" wäre zu kurz gefasst für das utopische Familienbild, das Ema mit großem körperlichem Einsatz einfädelt. Dabei wird ein Ehepaar ebenso vorgeführt, wie der wesentlich ältere Ehemann. Beim strahlenden Happy End deuten nur Musik und die Gesichter der Männer etwas Abgründiges an. Das ist irre und irre faszinierend, wie auch in allen Facetten großartig inszeniert. Die letzte Szene zeigt, Ema wird weiter Feuer legen.