19.10.20

Bohnenstange

Bohnenstange

Russland 2019 (Dylda) Regie: Kantemir Balagov, mit Viktoria Miroshnichenko, Vasilisa Perelygina, Andrey Bykov 139 Min.

Ein Jahr nach Ende des 2. Weltkrieges zeigt sich das von der deutschen Invasion besonders zerstörte Leningrad in „Bohnenstange" als ein Hospital der Schrecken des Krieges. Unter den körperlich und geistig Invaliden sticht die Krankenschwester Iya hervor. Nicht nur wegen ihrer Größe und dem hageren Körper - sie wird Bohnenstange genannt. Sie ist auch bei den Patienten besonders beliebt. Nach ihrem Fronteinsatz als Soldatin verliert sie immer wieder das Bewusstsein und erstarrt regungslos auf der Stelle.

Unter erbärmlichen Umständen, unter Hunger und Wohnungsnot hat Iya den kleinen Sohn ihrer Freundin Masha als ihren ausgegeben und durch den Krieg gebracht. Aber durch ein still schockierendes Ereignis stirbt er doch. Auch die Rückkehr Mashas ist bestimmt durch eine ruhige, heftig ergreifende Intensität. Es dauert ewig, bis Iya der Mutter die Wahrheit sagen kann, bis sie überhaupt spricht. Masha reagiert scheinbar ungerührt, nimmt eine Stelle im gleichen Krankenhaus an und verschweigt, dass es eigentlich ihr Kind war.

Neben der ästhetischen Brillanz von „Bohnenstange", neben dem exzellenten Schauspiel fesseln auch die erstaunlichen Reaktionen, die Menschen mit atemberaubenden Wünschen und Entscheidungen um Leben und Tod. Denn mit erstaunlicher, eiskalter Entschlossenheit bestimmt die mittlerweile unfruchtbare Masha, dass Iya für sie ein Ersatz-Kind bekommen soll.

Die Entbehrungen der Kriegs- und Nachkriegs-Zeit in Leningrad scheinen auch die Farben des Films ausgemergelt zu haben. Gelblich schmutziges Licht dominiert. Ein seltener roter oder grüner Kleiderstoff ist kaum Grund zur Freude. Irgendwann erinnert nicht nur diese Viragierung des Bildes an Lars von Trierschen Horror, den Menschen einander antun. 

Man sieht in „Bohnenstange" intensiv „die Folgen des Krieges durch Gesichter, Augen, Körper und Körper der Menschen", wie es der 1991 in Nalchik, Russland, geborene Regisseur Kantemir Balagov exakt beschreibt. „Bohnenstange", inspiriert durch das Buch „Der Krieg hat kein weibliches Gesicht" der belarussischen Literatur-Nobelpreisträgerin Swetlana Alexjiewitsch, lief 2019 dort und wurde mit dem Preis für die beste Regie ausgezeichnet.