18.11.13

Ich und Du

Italien 2012 (Io e te) Regie: Bernardo Bertolucci mit Jacopo Olmo Antinori und Tea Falco 97 Min.

Bernardo Bertolucci ist längst Legende. Wie er die kleine, rührende Jugend-Geschichte von „Ich und Du" inszeniert, zeigt jedoch, dass er mit all seinem Können voll im Leben steht. Ein pubertierender Junge will sich vor der Schulfahrt drücken und versteckt sich im Keller des eigenen Mietkomplexes, zufällig kommt seine ältere Stiefschwester vorbei und will ausgerechnet hier mit einem Kalten Entzug von den Drogen loskommen. David Bowies „Space Oddity", jeweils einmal in der italienischen und der englischen Version, charakterisieren die Drogenproblematik der Schwester und die Isolation des Sohnes. Das Keller-Kammerspiel entdeckt zwei junge Schauspieler, erzählt berührend feinfühlig und schenkt ein bitter-süßes Ende.

Lorenzo, ein 14-jähriger, pubertierender Junge, will sich vor der Skifreizeit drücken und versteckt sich deshalb im großen Kellerraum des eigenen Mietkomplexes. Die Mutter denkt, er ist mit der Schule weg, die Lehrer glauben, er ist krank zuhause. Zwischen alten Schränken und Kisten lässt sich leicht eine kleine Höhle bauen, ein Sofa wird zum Bett. Nur ein kleines Fensterchen lässt den Blick auf die Beine der Passanten zu. Zusätzlich baut der schüchterne Junge einen Kopfhörer-Schutzwall mit seiner Musik. So wie er sich den Menschen abschirmt, so distanziert beobachtet er auch einen Ameisenbau, den er hinter den Glasscheiben seinen Terrariums hält. Lorenzo geht es also gut in seinem Keller-Versteck, nur manchmal stört ein Hausmeister. Doch eines Nachts erschreckt ihn ein anderer Eindringling.

Seine ältere Halbschwester Olivia, die schon vor Jahren ausgezogen ist, sucht nach alten Sachen und nach einem ersten, sehr ruppigen, gegenseitigen Anfauchen beginnen die beiden, einige Familiengeschichten klären. Lorenzo und Olivia wissen kaum etwas von einander, geben sich aber gegenseitig die Schuld am Scheitern der Familie. Was bei ihr zu einer traurigen und erschreckenden Situation führte: Drogen- und vergnügungssüchtig lässt sich Olivia von einem älteren Freund aushalten und mit Koks versorgen, der gleichzeitig Vaterfigur und Zuhälter in sich trägt. Energie für ihre eigenen, eindrucksvollen Fotos bleibt ihr keine. Lorenzo muss sich plötzlich um die Schwester kümmern, steht ihr bei einem Kalten Entzug bei. Es entwickelt sich eine zärtliche Nähe in diesem intensiven Kellerkammer-Spiel. Und irgendwann zerbricht die Glaswand, Lorenzo tritt ins Freie...

„Ich und Du" ist nach 30 Jahren erstmals wieder ein italienischer Film von Bernardo Bertolucci. Der Regisseur von filmischen Meilensteinen wie „Der letzte Tango in Paris" (1972) „1900" (1976), „Der Letzte Kaiser" (1987) oder „Little Bhudda" (1993) ist längst Legende, ein alter Mann, könnte man denken. Doch „Ich und Du" ist nach dem 68er-Drama „Träumer" (2003) und „Stealing Beauty" (1996) wieder ein Film über das Erwachsenwerden junger Menschen. Wie Bertolucci die kleine, rührende Jugend-Geschichte inszeniert, zeigt dass er mit all seinem Können voll im Leben steht.

Ein Lied in zwei Sprachversionen war neben dem Roman „Io e te" von Niccolò Ammaniti Inspirationsquelle: David Bowies „Space Oddity", jeweils einmal in der englischen und der italienischen Version charakterisieren die Drogenproblematik der Schwester („Ground control to major Tom, your circuits dead, there's something wrong. Can you hear me, major Tom?") und die Isolation des Sohnes („Ragazzo Solo, Ragazza Sola").

„Ich und Du" entdeckt in seiner berührend feinfühligen Erzählung und in seinem bitter-süßen Ende auch zwei junge Schauspieler: Jacopo Olmo Antinori beeindruckt enorm als erst schüchterner und dann entschlossener Lorenzo. Dabei ist dies erstaunlicherweise erst die erste Filmrolle des 1997 geborenen und bereits theater-erfahrenen Römers. Die als Olivia so zerbrechlich wirkende Tea Falco ist ein wahres Multitalent: Als Fotografin erhielt sie den wichtigsten Preis für Gegenwartskunst in Italien, den Premio Basilio Cascella im Jahre 2011. Ihre Bilder werden weltweit ausgestellt. Dazu hat sie einen Abschluss in Kommunikations-Wissenschaften, spielte auf der Bühne und vor der Kamera. Olivia ist ihre erste Hauptrolle. So wie diese Talente eine Offenbarung auf der Leinwand darstellen, bietet der Film über eine Öffnung mehr als einen Grund, sich mal wieder in einen dunklen, geschlossenen Raum zu begeben.