26.11.13

Blancanieves - Ein Märchen von Schwarz und Weiss

Spanien, Frankreich 2012 (Blancanieves) Regie: Pablo Berger mit Macarena García, Maribel Verdú, Angela Molina, Daniel Giménez Cacho, Inma Cuesta 104 Min.

Deutsche Zusatztitel sind generell eine Pest, ein oft namens-rechtlich bedingter Hirnkrampf, der nur bei den schlechtesten Machwerken peinlich sinnvoll erscheint. Doch „Blancanieves" ist tatsächlich „Ein Märchen von Schwarz und Weiss", eine wunderschöne Stummfilm-Imitation aus Spanien in Folge des Oscar-Siegers „The Artist".

Wie schon Alex Warmerdam in seinem „Grimm" verlegt Regisseur und Autor Pablo Berger die Handlung von Grimms „Schneewittchen" sehr schön frei nach Spanien: Nachdem in wenigen, hochdramatischen Minuten der gefeierte Torero Antonio Villalta (Daniel Giménez Cacho) auf die Hörner genommen wird und dessen Frau bei einer durch den Schock zu frühen Geburt stirbt, wächst die gerettete Tochter Carmen fern vom an den Rollstuhl gefesselten Vater bei der Oma (Angela Molina) auf. Als das Schicksal auch diese liebe Person dahinrafft, kommt das Mädchen auf die Hazienda des dahin vegetierenden Mannes und der bösen Stiefmutter Encarna (Maribel Verdú). Die vergnügt sich nicht nur mit einem Offizier und sexy Reiterspielchen, sie wirkt auch der Genesung von Antonio entgegen - mit einem Stoß die Treppe runter. Carmen muss im Kohlenkeller hausen, darf dabei den Vater nie sehen. Als das Mädchen aus Versehen das Verbot übertritt, muss ihr einziger Freund, der Hahn Pepe, dran glauben.

Doch im Laufe der Jahre kann Carmen geschickt immer wieder Zeit mit dem Vater finden, der erzählt ihr vom Stierkampf bis der Major die junge Frau vergewaltigen will. Ja, hier herrscht Melodram und kein ruhiger Glücksmoment ist erlaubt. Anscheinend tot bleibt sie im Wald zurück, wo sieben Zwerge sie finden. Sie sind in dieser Bearbeitung des Grimmschen Märchens ein reisender Trupp von Klamauk-Toreros. Bei ihnen erlebt Carmen ihr Coming Out als weiblicher Torero, man nennt sie bei der Tour durchs ganze Land Blancanieves, Schneewittchen. Doch auch Encarna erfährt vom Erfolg der Totgeglaubten - den sprechenden Spiegel ersetzt in den Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine bunte Gesellschafts-Postille. Und genau in der Arena, die auch dem Vater zum Verhängnis wurde, reicht eine alte Frau dem Star des Runds einen Apfel... Eine letzte Freiheit erlaubt sich das herrliche Melodram dann noch: Als billige Jahrmarkts-Attraktion zahlen am bitter-süßen Ende die Zuschauer dafür, Blancanieves küssen zu dürfen. Aber keiner kann sie erwecken.

Noch ein Märchen und noch einmal die Rückbesinnung auf eine Kunst, die nach Meinung vieler niemals eine Tonspur gebraucht hätte. Obwohl „Blancanieves" trotz der stilechten Zwischentitel nicht wirklich ein Stummfilm ist, denn die stilvolle spanische Musik trägt viel zur großen Wirkung des Films bei. Es ist ein Film ohne gesprochene Sprache und diese Konzentration führt wie schon bei „The Artist" zu wunderbarer Kamera- und Bild-Kunst. Jedes Standbild ist eine edle Komposition aus Hell und Dunkel, Formen und Linien. Da vergehen schon mal die Jahre in einem Augenschlag beim Schattenspiel hinter den Wäscheleinen. Und die enorme Bildqualität geht weiter bis zum Casting der Statisten in der Stierkampf-Arena - auch diese Physiognomien sind es wert, als Foto gewürdigt zu werden. Das pure Kino erlaubt sich ein paar Doppelbelichtungen und begeistert auf dem Höhepunkt mit einer im Flamenco-Rhythmus geschnittenen Montage-Sequenz.

Die Schneewittchen-Geschichte mit Stierkampf und Flamenco trumpft ebenso mit Maribel Verdú als Hexe Encarna auf. Eine erstaunliche Kopie, fast eine Zwillingsschwester der Peppy Miller von Bérénice Bejo aus „The Artitst". Aber noch so ungefähr tausendmal schöner beziehungsweise eindrucksvoller ist hier die junge Hauptdarstellerin Macarena García. Das muss auch erwähnt werden, wenngleich für die wahren Reize von „Blancanieves" diesmal hauptsächlich Kamera und Licht verantwortlich sind.