10.3.09

The Fall


Indien, Großbritannien, USA 2006 (The Fall) Regie: Tarsem Singh mit Catinca Untaru, Justine Waddell, Lee Pace, Kim Uylenbroek 116 Min. FSK ab 12

Es gibt bebilderte Geschichten und es gibt richtiges Kino. „The Fall“ ist grandioses, üppiges, überwältigendes Kino, das entführt, erhebt und beglückt. In Bildwelten, die Regisseur Tarsem Singh über viele Jahre sammelte, entspinnt sich eine beziehungsreiche Geschichte, ein betörend schöner, stiller Kampf um Leben und Tod...

Im Los Angeles der 1920er-Jahre blühen Orangen und Filmindustrie um die Wette. Das kleine rumänische Mädchen Alexandria brach sich bei der Ernte den Arm und entdeckt im Krankenhaus nun den Stuntman Roy Walker, der nach einem Sturz querschnittsgelähmt ans Bett gefesselt ist. Die beiden verstehen sich in Roys Geschichten - aus ihrem Namen erhebt sich der Große Alexander und kämpft sich mit einer Handvoll Männer ohne einen Tropfen Wasser durch eine riesige Wüste. Aus der Kiste voller Erinnerungsstücke, die Alexandria immer mit sich herumträgt, macht sich der Elefant auf, fünf tapfere Helden von der Schmetterlingsinsel zu retten. Den Piraten und seine Freunde eint der Hass auf den grausamen Gouverneur, der sie alle zutiefst verletzt hat und den sie nun gemeinsam jagen werden.

Allein die Schönheit eines schwimmenden Elefanten, atemberaubender Wüsten-, Berg- und Stadt-Landschaften würden für einen grandiosen Film reichen. Viele Jahre war Tarsem Singh für seine fantastische Weltreise unterwegs, in Bali, auf der chinesischen Mauer, am Taj Mahal. Manchmal dauern die Aufnahmen nur Sekunden, aber welch einen Bildrausch ergeben all diese erlesenen Sekunden. Es gab wohl kaum ein Werk in der Filmgeschichte, das derart durchgehend eindrucksvolle und einzigartig komponierte Aufnahmen zeigt. Es gab „The Cell“ vom gleichen Autor mit ähnlichen Aufnahmen, aber auch mit Jennifer Lopez und einer seltsamen Psycho-Mörderhandlung.

Nun baut Tarsem Singh mit diesen Bildern beeindruckend, aber auch subtil eine vielschichtige Fabel auf. Denn mit den Geschichten, die Roy jeden Tag fortführt, pervertiert er das Erzählen zum (Über-) Leben von Scheherazade aus „1001 Nacht“. Roy erzählt, damit Alexandria ihm den Tod bringen soll. Zu schwer ist der Verlust seiner Liebe an einen eitlen Schauspieler und die Folge des verunglückten Stunts für die Geliebte. Doch auch die kleine Alexandria spinnt in und an den Geschichten aus einer dunklen Seelennacht mit, sie braucht den großen Reiter und Ritter, den Freund, um ihre Ängste und traumatischen Erinnerungen zu überwinden.

Da Tarsem Singh diese Geschichte erzählt, die ähnlich auch von Terry Gilliam hätte sein können, ist die psychologische Grundstruktur mit surrealen Seelen- und Weltlandschaften verwoben, rollen die Apfelsinen immer wieder durch die Handlung, wie auch Pferde und alle anderen Motive aus der Schatzkiste des Kindes nie verloren gehen. Unbeschreiblich bleibt dabei die Fantasie des Film-Erzählers, wenn etwa ein Magier aus einem Baum wächst, eine giftige Karte verschluckt, die ihm darauf auf den Leib gezeichnet erscheint, während ein Chor wie in „Baraka“ ein Bestattungsritual aufführt. Diese Momente sind zahllos, wie die Landschaften mit ihrer fantastischen Tiefe. Die fantastischen Figuren hingegen wirken manchmal etwas zu flach, was zwar der Komik dient, aber die emotionale Verbundenheit stört. In der Binnengeschichte, wohlgemerkt. Dem Wunsch des kleinen Mädchens hingegen kann man sich nicht entziehen: Du darfst nicht aufhören zu erzählen, du darfst mich nicht allein lassen.

„The Fall“ ist ein Remake des bulgarischen Films „Yo Ho Ho“ von Zako Heskija aus dem Jahre 1981, allerdings auch ganz und gar ein Tarsem Singh. Erwähnenswert dabei noch, dass der Regisseur eine besonders dramatische Operationsszene durch die Puppen der deutschen Brüder Lauenstein spielen lässt, die für „Balance“ einen Oscar erhielt.