24.3.09

Deutschland 09


BRD 2009 (Deutschland 09) Regie: Dominik Graf, Wolfgang Becker, Fatih Akin, Nicolette Krebitz, Dani Levy, Romuald Karmakar, Tom Tykwer u.a. mit
Sandra Hüller, Denis Moschitto, Benno Fürmann, Jasmin Tabatabai, Uwe Bohm, Dani Levy, Josef Bierbichler u.v.a. 142 Min.

Nachdenken über Deutschland im Episodenfilm - das kann interessant und erhellend sein. Das ist aber auch immer Nachdenken über Episodenfilm. 13 kurze Filme zur Lage der Nation spielen, argumentieren, begeistern oder irritieren unterschiedlich. Mit unter anderem Hans Weingartner, Dominik Graf, Wolfgang Becker, Fatih Akin, Nicolette Krebitz, Dani Levy, Romuald Karmakar und Tom Tykwer in den Fächern Regie und Buch muss so eine Kompilation interessant sein. Nach den Höhen und Tiefen der jeweiligen Tagesform fängt allerdings das Nachdenken über Deutschland erst richtig an...

Über 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, 40 Jahre nach dem studentischen Aufbruch 1968, 30 Jahre nach dem „Deutschen Herbst“ 1977, 20 Jahre nach dem Fall der deutsch-deutschen Grenze 1989 sei wieder mal Zeit für „Nachdenken über Deutschland“ dachten sich die Macher um Tom Tykwer und Dani Levy. Der engagierte Schweizer mit Wohnort in Berlin spielt selbst einen Vater, der aufgrund einer neuen Medizin Deutschland plötzlich sehr positiv sieht. Allerdings sieht er auch, wie sein kleiner Sohn sich in die Luft erhebt und lachend über Berlin herumfliegt. Die Begeisterung über Deutschland landet schließlich bei ein paar strammen Neo-Nazis, die den fliegenden Jungen als neuen Heiland und Führer erkennen. Das die Schlusspointe des aufmerksamen Juden Levy hat die Kanzlerin, die beim gemeinsamen Arzt auch die neue Medizin erhalten wird.

Politisch und absurd erzählt auch Wolfgang Becker („Goodbye, Lenin“), der aus Deutschland ein völlig herunter gekommenes Krankenhaus nach der x-ten Gesundheitsreform macht. Die Phrasen der Deutschland AG liefern die Geistesgestörten, nur einer von ihnen hat Probleme mit seiner Ruck-Rede. Wie schön, dass unser Ober-Rucker Horst Köhler pünktlich zum Filmstart die Ruck-Phrase wieder durch die Medien jagt. Trefflich bis schauerlich dieses Szenario zwischen „Brazil“ und Berliner Kuckucksnest.

Ganz ernst politisch lässt Fatih Akin den Schauspieler Denis Moschitto ein Interview mit dem unschuldigen Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz nachspielen. Diese Botschaft bringt ein Zeitungsartikel vielleicht besser rüber. Aber das Nachdenken, weshalb Akin die nüchterne Protokoll-Form wählt, die Romuald Karmakar ähnlich mit „Das Himmler-Projekt“ und „Hamburger Lektionen“ einübte, ist wenigstens auch ein Nachdenken. Karmakar selber liefert einen Knaller ab: Die Gespräche mit einem persischen Dandy, der seit Jahrzehnten in Deutschland einen kleinen Strip- und Sex-Club leitet, sind charmant erzählte Deftigkeiten, die auch eine Facette von Deutschland liefern - das heimliche Leben der feinen Leute.

Selbstverständlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass unser Sicherheits-Staat Überwachung mittlerweile als Selbstläufer betreibt und auf jeden Fall irgendjemanden fassen muss, auch wenn dabei das Strafrecht kaltgestellt wird: „Jeder kann zum Terroristen werden!“ Dominik Grafs filmischer Essay blickt wesentlich subtiler auf Architektur im neuen Deutschland und legt über die Fassaden innere Zustände unserer Gesellschaft bloß. Produzent Tykwer bleibt das filmische Meisterstück: Seine Episode um Benno Fürmann als abdrehenden Weltreisenden in Sachen Inneneinrichtung von Luxus-Hotels verhält sich in Schnitt und Inszenierungskraft zum Rest wie damals „Lola rennt“ zur Öde deutscher Beziehungskomödien.