29.1.08

In die Wildnis - Into the Wild


USA 2007 (Into the Wild) Regie: Sean Penn mit Emile Hirsch, Marcia Gay Harden, William Hurt 140 Min.
 
Der Traum vom Aussteigen, von der Klarheit eines ursprünglichen Lebens, gehört zum Handgepäck jedes romantischen oder auch nur halbwegs rebellischen Jugendlichen. Meistens lässt dieser Traum sich in einen Rucksack verpacken und erfüllt sich je nach Generation auf Goa oder Gomera. Mit der wahren Geschichte des Aussteigers Chris McCandless zeichnete Autor Jon Krakauer so einen idealistischen Trip nach. Schauspieler, Autor und Regisseur Sean Penn ("Das Versprechen - The Pledge", "The Crossing Guard", "The Indian Runner") verfilmte den Traum-Stoff durchaus doppelbödig: "Into the Wild" schwelgt in Naturromantik und bricht diese gleichzeitig im aufmerksamen Blick.
 
Schon dieses (Titel-)bild ist verwunderlich: Wie kommt ein Linienbus in die straßenlose Wildnis einer abgelegenen Ecke Alaskas? Und wie kommt dieses bärtige Jüngelchen, das Gedichte in Holz ritzt, in den rauen Winter? Der 20-jährige Student Chris (Emile Hirsch), verwöhntes Jüngelchen aus reichem Hause, will die Wahrheit finden. Er reist klassisch gen Westen, verbrennt seinen Ausweis. Der alte Datsun wird weggespült von Naturgewalten. Dann geht es den Grand Canyon runter, man besucht nette Hippies in Kalifornien, bevor der eigentliche Plan verwirklicht wird: Ab nach Alaska. Doch Alexander Supertramp, wie er sich nun nennt, flieht ebenso die Zivilisation wie den Ehekrieg seiner Eltern.
 
Nun lebt er allein mit seinen literarischen Helden in diesem Bus mitten im Nichts. Man vermeint, im Kino die Klarheit der Berge und der Luft zu atmen. Chris stehen Tränen in den Augen bei einer stillen Begegnung mit einem Karibu und das Publikum ist ergriffen von eindrucksvollen Naturaufnahmen. Die Songs von Eddie Vedder ("Pearl Jam") begleiten die Bilder kongenial rau ("Gesellschaft, du bist ein seltsames Gewächs. Hoffe, du fühlst dich nicht einsam ohne mich").
 
Doch die Kondensstreifen der Flieger am Himmel machen deutlich, dass man der Zivilisation auf dieser Welt kaum mehr entfliehen kann - zumindest nicht geographisch. Überhaupt ist das so ein Ding mit der verachteten Gesellschaft und ihren Errungenschaften. Da grillt der verleugnete Vater bei gehassten Gartenfeiern, die albernen skandinavischen Touristen braten sich einen Burger im Grand Canyon. Chris lässt dies alles zurück, um archaisch selber wieder mit dem Feuermachen anzufangen. Oder wie es ein "Freund" auf der Wanderschaft in die Wildnis bemerkte: "Wer ist denn diese Gesellschaft? Bin ich es? Oder der Typ an der Bar?"
 
Freund steht in Anführungszeichen, weil fraglich ist, ob Chris sie überhaupt hat? Der Super-Tramp leistet sich den Luxus der Ungebundenheit - wird dadurch von vielen Menschen an Sohnesstatt angenommen, um bald wieder weiter zu ziehen. Was für die Zurückgebliebenen sehr grausam ist, höhnisch kommentiert von Pseudo-Weisheiten wie "Man darf sein Herz nicht an die Menschen hängen. Zwei Fragen an die Menschen stechen heraus in dieser Reise zur Selbstfindung, zwei Pole: Wovor laufen sie weg? Oder: Wovor verstecken sie sich? Sean Penn entschied sich für den Mittelweg, er lässt Chris in den Bildern träumen, ohne sich naiver Romantik hinzugeben.