26.3.07

Herzen


Frankreich, Italien 2006 (Coeurs) Regie: Alain Resnais mit Sabine Azéma, Isabelle Carré, Laura Morante, Pierre Arditi, André Dussollier, Lambert Wilson 120 Min.
 
Alain Resnais ist Kinolegende: "Letztes Jahr in Marienbad" war schon im letzten Jahrtausend, genauer im Jahr 1961. Vorher drehte er "Hiroshima, mon amour" und "Nacht und Nebel", eine erschütternde Holocaust-Dokumentation. Resnais ist also ein über den Moden und Zeiten stehender Meister der (fiktiven und dokumentarischen) Leinwand, der trotz seiner nun fast 85 Lebensjahre (!) immer noch mit formaler Innovationskraft überrascht. So setzte er Ayckbourns "Smoking / No Smoking" in einen zweiteiligen Film um, dessen Simulation von Interaktivität zu insgesamt sechzehn Enden führte. Und dann "Das Leben ist ein Chanson" - die verrückteste und französischste Variante des "Musicals" überhaupt. Nun realisierte der Franzose mit seinem vertrauten Team einen der pessimistischsten Kinokammerspiele seiner letzten Jahre.
 
Der Winter in Paris lässt jede Fröhlichkeit der Figuren wie vergebliche Versuche erster Blüten wirken. Das Lächeln des Maklers Thierry (André Dussollier) hält sich mühsam im Gesicht. Zaghaft und verlegen reagiert er auf die Angebote seiner schrulligen Mitarbeiterin Charlotte (Sabine Azéma), ihm eine verpasste, dröge religiöse Kultursendung auf Video auszuleihen. Aber Thierry ist höflich, kuckt sich den Quark tatsächlich an und wacht zu lustvollen Lauten auf. Da wurde doch auf dem Band ein heftiger Heimporno von der hehren Kultur überspielt! Thierry (miss-) versteht nun die Ausleihe als Anmache und es folgt ein Krampf aus ungelenkem, ungeübtem sozialen Umgang.
 
Wie Gaelle (Isabelle Carré), die jüngere Schwester Thierrys, den lüsternen Fernsehabend auch falsch interpretiert und ihre verzweifelte Einsamkeit hinter moralischer Aufregung versteckt, ist eine andere Geschichte: Die einsame Büromaus verfällt dem abgeschmackten Charme des depressiven Trinkers Dan (Lambert Wilson), der wiederum gerade von seiner wohnungssuchenden Frau Nicole (Laura Morante) rausgeworfen wurde. Das alles beobachtet Barkeeper Lionel (Pierre Arditi) im Hin und Her vor seinem Tresen.
 
Wie dieser wiederum Thierrys Sekretärin Charlotte als Pflegerin des bettlägerigen, unverschämt lüsternen und launischen Vaters einstellt, gehört zu den besten Momenten der "Coeurs". Hier schlägt das einsamste Herz der Geschichten, hier kann die verdrehte Frau aber auch ihre andere Seite als peitschenschwingende Lederlady ausleben. Bis es einem Herz zuviel wird...
 
"Herzen" ist erneut ein typischer Resnais, aber doch einzigartig: Es sind die Sets, die in Reduzierung und Künstlichkeit an Bühnenbilder erinnern. Doch diesmal sind sie noch menschenleerer, einsamer. Nicht zufällig führen immer wieder Makler Menschen durch idealisierte, leblose Modellwohnungen. Vertraut sind auch die Schauspieler, quasi die Leinwand-Familie von Resnais. Wieder schrieb das Buch Alan Ayckbourn, der mit seinen über 70 Stücken zu den am häufigsten gespielten englischsprachigen Bühnenautoren gehört – nach William Shakespeare. "Private fears in public places" lautet der passende Titel der Vorlage. In den leisen Tönen der feinen Figurenzeichnungen sind die Ängste erschreckend fühlbar. Bis zum wundersamen, wunderbaren Moment am Ende, wenn es wieder schneit. In der Küche von Lionel wohlgemerkt!