29.12.10
Das Labyrinth der Wörter
Frankreich 2010 (La tête en friche) Regie: Jean Becker mit Gérard Depardieu, Gisèle Casadesus, Claire Maurier, Sophie Guillemin 82 Min.
„In Liebesgeschichten geht es nicht immer um die Liebe. Manchmal ist da nicht mal ein ‚Ich liebe dich’. Und doch lieben wir uns.“ Die große Liebesgeschichte eines einfachen Mannes ist dieses „Labyrinth der Wörter“ von Jean Becker, gespielt von Depardieu, dem großen Darsteller einfacher Figuren. Geht es um Mutterliebe? Um einen dyslexischen Hilfsarbeiter, der durch die Literatur zu einem anderen Menschen wird? Was auch immer man zu „Das Labyrinth der Wörter“ sagen kann, am Ende überwältigt die Rührung dieses liebe-vollen und schön altmodischen Meisterwerks.
Mit seinem Blaumann läuft er durch das kleine Dorf der französischen Provinz, schreibt seinen Namen immer wieder auf das Ehrenmal der Kriegstoten und verkauft die Früchte seines Gärtchens. Germain (Gérard Depardieu) ist nicht mehr der Jüngste, etwas einfältig. Nicht bekloppter als die anderen, aber netter. So lebt er bescheiden im Camper, der im Garten seiner verschrobenen Mutter steht, hat eine lockere Beziehung zu der viel jüngeren und attraktiven Busfahrerin Annette und trifft eines Tages auf einer Parkbank die 95-jährige Margueritte. Sie unterhalten sich über die Tauben, die für Germain wie eine Familie sind. Sie liest ihm aus Camus’ „Die Pest“ vor und in seiner (schwarz-weißen) Vorstellungen sterben die Ratten. Aus der Begegnung werden regelmäßige Treffen mit der alten Dame im rosa Kostüm, die Vorleserin bemerkt sein gutes auditives Gedächtnis. Doch Germain meint, er erinnere sich nur genau an das, was er gehört habe.
Es sind die Worte, die nicht recht zueinander finden, die dem imposanten Kerl das Leben so schwer und ihm zum Gespött der Leute machen. Das war schon in der Schulzeit so, wie einige Rückblenden zeigen. Zudem verhielt sich seine Mutter extrem lieblos, der Erwachsene leidet noch immer darunter, dass sie ihn als „das da“ bezeichnete. Nun liebt er in der alten Margueritte die Mutter, die er nie hatte. Der Umgang mit der alten Frau, die Germain schon recht poetisch als zierliche „40 Kilo Falten mit Regalen voller Bücher im Kopf“ beschreibt, veredelt diese Seele von Mensch. Und als die von ihrer Familie im Altersheim abgesetzte Margueritte erblindet, nimmt ihr Lese-Schüler die Sache in die Hand...
Der mittlerweile 77-jährige Jean Becker hat seit seinem Regiedebüt mit „Sie nannten ihn Rocca“ im Jahre 1961 nicht viele Kinofilme gemacht. Gerade einmal neun waren in Deutschland zu sehen, alle herausragend. „Dialog mit meinem Gärtner“, „Ein Sommer auf dem Lande“ und „Ein mörderischer Sommer“ gehörten dazu. Wenn man urteilt, Becker macht altmodische Filme, im positivsten Sinn des Wortes.
Die Verfilmung des Romans „Das Labyrinth der Wörter“ („La tête en friche“) von Marie-Sabine Roger ist vor allem wieder ein Becker-Film, der sich in den schönen, guten Seiten des Menschseins suhlt. Depardieu ist dabei vielleicht sogar zu sehr Depardieu, ab und zu denkt man bei dem Simpel Germain tatsächlich an den geistig verwandten Obelix und das gehört nun mal gar nicht hierhin. Aber darin liegt auch die Magie Beckers verborgen, der einem eigentlich simplen Film - die Musik komponierte beispielsweise Schlager-Spezialist Laurent Voulzy - ein ganz großes Herz gibt und ihn zu einer Perle des Gefühlskinos macht.