Des Kaisers neue Kleider
Einmal „Berlinale ohne alles", nach Haus geliefert. Die virtuelle Notausgabe des Festivals war kein Fest. Ob sie ihren Werbe-Zweck erfüllte, wird sich im Sommer und im Kino zeigen. Dabei sahen die Auserwählten von Film-Industrie und -Presse in ihren Heimkinos, was ohne Roten Teppich, Promi-Auftrieb und geballtem Wichtigtun bei den Filmen übrig bleibt. „Aber er hat ja gar nichts an" musste zum Glück nicht gerufen werden.
Außer beim Siegerfilm: Der übliche Skandalfilm bekommt diesmal den Goldenen Bären: „Bad Luck Banging or Loony Porn" mit ein paar Minuten Porno zum Anfang. Ein mal surreales, mal dokumentarisches Triptychon zur gesellschaftlichen Lage Rumäniens heute. Was soll's, Jurys kann man nie verstehen. Dabei hat der Regisseur Radu Jude vorher mit „Aferim!" und „Scarred Hearts – Vernarbte Herzen" richtig gute (historische) Filme gemacht. Der Berliner Wettbewerb, der generell einen schweren Stand hat, begeisterte stellenweise, vor allem mit „Petite maman" von Céline Sciamma („Porträt einer jungen Frau in Flammen") oder auch mit „Albatros" von Xavier Beauvois. Und strengte selbst bei nur 15 Filmen an, etwa mit Hong Sangsoos „Inteurodeoksyeon" aus Korea. Das ist nicht neu.
Peter Kurth als der neidische Nachbar von Daniel Brühls „Nebenan" hätte wie Tom Schilling aus und als „Fabian" einen Darstellerpreis verdient, wenn nicht aus Gründen der Gleichberechtigung diesmal nur zwei Frauen diese Preise bekamen. Es bleibt kompliziert. Dass Dominik Grafs Meisterwerk „Fabian oder Der Gang vor die Hunde" ohne Preis blieb, ist der wahre Skandal, aber auch das interessiert nicht wirklich. Denn die Berlinale war 2021 eine interne Veranstaltung, bei der wir, die Presse, das Publikum, Sie, für die nächste Kinoöffnung neugierig machen sollen. Wenn bei „Berlinale im Home Office" vor allem der Austausch über interessante Filme direkt nach der Vorstellung, über die „Buschtrommel" beim Kaffee zwischendurch oder in der Warteschlange vor dem nächsten Film fehlt, gibt es ein einfaches Wort für eine große Sache, die wir brauchen: Öffentlichkeit. Zwar hat sich dieser Kritiker hier einige der Filme, die man nur sehen muss, weil sie bald ins Kino kommen, gespart. Doch die bange Frage bei all den potemkinschen Festivals bleibt: Kommen die Filme überhaupt noch mal in mein Kino?