17.3.21

Beforeigners - Mörderische Zeiten / ARD-Mediathek


Ein Lichtblitz im Wasser, Störungen im Stromnetz. Kurz darauf tauchen Menschen auf. Verstört und in Panik versuchen sie ans Ufer zu kommen. Menschen, die vor dem Opernhaus in Oslo helfen, sind genauso irritiert: Die fast ertrunkenen stammen aus der Steinzeit, der Wikinger-Epoche oder dem 19. Jahrhundert. Die norwegische Miniserie „Beforeigners - Mörderische Zeiten" trumpft mit einer genialen Idee auf: Die Welt wird von Flüchtlingen überschwemmt - doch die stammen nicht von anderen Ländern, sondern aus anderen Zeiten. Der Krimi spiegelt unsere moderne Gesellschaft satirisch und sozial.

Im Zentrum der Ereignisse steht Kommissar Lars Haaland (Nicolai Cleve Broch), der den ersten Zeit-Flüchtling aus dem Hafenbecken rettete. Gerade hatte er mit seiner Frau eine Wohnung gekauft, die Maklerin meinte, eine sichere Investition. Jahre später ist der Wohnkomplex von Einwanderern runtergewohnt, die gerne rohen Fisch trocknen oder Fleisch am offenen Feuer braten. Im Aufzug haust eine Ziege. Auch mit der Ehe des Kommissars ging es bergab. Seine Frau verließ ihn für einen formvollendeten Pfeifenraucher aus dem 19. Jahrhundert. So ist Lars nicht in bester Form und abhängig von illegalen Augentropfen, als am Strand eine Zeit-Migrantin mit steinzeitlichen Tätowierungen tot aufgefunden wird. Diese Spur führt ihn schließlich nach Geilenkirchen. Eine Verdächtige steuerte dort für die NATO Killerdrohnen, ihre Freundin war Teil einer technikfeindlichen Gruppierung in Aachen!

Als Partnerin wird Lars ausgerechnet Alfhildr Enginnsdottir (Krista Kosonen) zugeteilt, eine Wikingerfrau, die aus PR-Gründen bei der Polizei mitmachen darf. Denn die Flüchtlinge landen meist in Unterschichten der Gesellschaft, leben in prekären Verhältnissen. Beteiligung und Diversität muss her. Doch Alfhildr war tatsächlich eine große Kriegerin, die Schildmeid des Anführers Tore, der einst einen berüchtigten Missionar besiegte. So spricht sie nicht nur das Altnordisch der Wikinger, sie hat Fähigkeiten, die den Polizeidienst übersteigen und überfordern.

Soweit, so Genre mit einem heruntergekommenen Cop und einem problematischen gemischt-temporalen Ermittlerduo. Doch „Beforeigners - Mörderische Zeiten" kommt interessanter als typische US-Serien und ihre europäischen Kopien daher. Ebenso raffiniert wie die Grundidee setzt sich der Titel aus den Worten „before" (vorher) und „foreigners" (Ausländer) zusammen. Die Ausstattung schwelgt reizvoll in einer multikulturellen Gesellschaft, wo Sedway und Hochrad nebeneinander fahren. Wenn auch die Einwanderer mies behandelt werden, wie wir am Beispiel der gemobbten Alfhildr erleben, geht der Spott meist auf Kosten der „modernen" Menschen. Lars' Bemerkung „Ich vertrage kein Gluten" lässt Alfhildr lachen: Sie sei rückständig, aber er glaube an einen Geist namens Gluten im Brot! Die Satire mit feinem Spot bringt auch „transtemporale" Menschen in die Handlung, die sich in der falschen Zeit geboren fühlen und „umoperiert" werden wollen.

Die komplexe Krimihandlung um Zwangs-Prostitution von Steinzeit-Frauen, um Technik-Verweigerer und Hightech-Diebe läuft mutig vor einer hochgradig politisierten Folie ab. Flüchtlinge aus dem Meer. Leichen am Strand. Da muss man ziemlich Nachrichten-resistent sein, um nicht ans Mittelmeer mit den dort ertrinkenden Menschen zu denken. Die Brüche in der Gesellschaft machen sich allerdings nicht nur an platten Sprüchen wie „Norwegen für Norweger" fest. Einer der Übeltäter, der immer provokant nackte Steinzeitmensch Navn Ukjent (Oddgeir Thune), sagt stolz, er hätte dieses Land schon zur Eiszeit beherrscht. Navn Ukjent bedeutet übersetzt übrigens „Name unbekannt" - so heißen viele Flüchtlinge.

„Beforeigners - Mörderische Zeiten" setzt Fremdenfeindlichkeit in ungewöhnliches Umfeld, ähnlich wie „District 9", der südafrikanische Science Fiction um illegale Aliens.

Die vielschichtige Mini-Serie mit ihren genialen Cliffhangern war 2019 die erste norwegische Produktion bei HBO und lief nun nachts im deutschen Free-TV. Die sehr sehenswerte Krimi-Variante der Showrunner Anne Bjørnstad und Eilif Skodvin ist noch 30 Tage in der ARD-Mediathek zu sehen und ab dem 13. April wieder seriell auf ONE. Die zweite Staffel ist schon in Auftrag, es bleibt einiges Mysteriöses ungeklärt und auch der religiöse Konflikt gärt weiter.

 (ARD-Mediathek, ab 13. April bei ONE)

"Beforeigners - Mörderische Zeiten" (NOR 2019), Regie: Jens Lien, mit Nicolai Cleve Broch, Krista Kosonen, Ágústa Eva Erlendsdóttir, sechs Folgen à 50 Min., FSK: ab 12