Großbritannien/Frankreich 2019 (Radioactive) Regie: Marjane Satrapi, mit Rosamund Pike, Sam Riley, Aneurin Barnard, Anya Taylor-Joy 110 Min. FSK ab 12
Was erlauben sich Film? Muss man wirklich fast anderthalb Stunden warten, um ein gutes Finale zu erleben? Vor allem im Kunst-Kino passiert das zu oft. Der neueste Fall, „Marie Curie", hat zudem drunter zu leiden, dass er als zweite Kino-Biografie zur herausragenden Wissenschaftlerin Maria Curie (1867-1934) und zweifachen Nobelpreisträgerin in wenigen Jahren nichts Neues zeigt.
Die Polin Marie Skłodowska Curie ist wahrhaft eine faszinierende Persönlichkeit: Sie entdeckte die Radioaktivität, wurde 1903 erste Nobelpreisträgerin (Physik), erste Professorin an der Sorbonne, und 1911 gab es einen weiteren Nobelpreis, diesmal für Chemie. Mithilfe großer Maskerade sehen wir eine alte Frau mit ihren Erinnerungen vom Lebensende her: Zu Ende des 19. Jahrhunderts in Paris hat es die geniale, aber auch nerdige und dickköpfige Marie Skłodowska (Rosamund Pike) im wissenschaftlichen Umfeld der Männer schwer. Nach einigem Zögern lässt sie den Wissenschaftler Pierre Curie (Sam Riley) Forschungs- und Lebenspartner sein. Er ist ein früher Feminist, der die Brillanz seiner Frau akzeptiert. Trotzdem wird es später Streit geben, weil er den gemeinsamen Nobelpreis für Physik alleine abholt. Nach seinem Tod kämpft sie alleine weiter, gegen das männliche Establishment an den Universitäten.
Das kennt man aus Marie Noëlles gleichnamigem Film aus 2016 mit Karolina Gruszka in der Hauptrolle, oder aus Wikipedia. Das Drama der einsamen Frau ist nun nicht so zentral wie bei Noëlle, die hervorragende Rosamund Pike forscht diesmal verbissen. Aber der Film betrachtet seine Figur von außen, nähert sich ihr eher wissenschaftlich als emotional. Dafür scheint der Film ebenso wie Pierre Curie fasziniert vom Spiritualismus, der sich an die gerade entdeckte Radioaktivität hängt. Gerade von Regisseurin Marjane Satrapi („Persepolis", „Huhn mit Pflaumen") hätte man da mehr erwartet.
Interessanter ist eine wenige bekanntere, spätere der vielen Aktivitäten der erstaunlichen Frau: In einem letzten Akt energischen Akt, drängt sie die französische Regierung dazu, während des 1. Weltkrieges mobile Röntgenwagen einzusetzen, um die vielen unnötigen Amputationen des Krieges zu verhindern. Avanciertere Montagen zeigen dann parallel Folgen der später stattfindenden Forschung mit Radioaktivität und Bombentourismus bei Tests in Nevada ebenso erschreckend wie die Grauen des Krieges. Aber ansonsten ist die Herkunft von einer Graphic novel (Marie Curie: Ein Licht im Dunkeln, von Anja C. Andersen und Frances A. Østerfelt) ästhetisch wenig sichtbar. Erst nach dem Tod von Marie Curie gibt es eine spannende Montage, die den langweilig konventionellen Rest überstrahlt. In der genialen und mutigen Sequenz durchlebt die zweifelnde Heldin einen vergebenden Gang zu allen Opfern der Radioaktivität.
Dem ganzen Film kann man so viel vertane Lebenszeit nur schwer vergeben. Das Interesse an dieser bemerkenswerten Frau kann Marie Noëlles Film besser und befriedigender befriedigen.