12.7.20

Berlin Alexanderplatz (2020)


BRD, Niederlande 2020 Regie: Burhan Qurbani, mit Welket Bungué, Jella Haase, Albrecht Schuch, Joachim Król 183 Min. 183 Min. FSK ab 12 

Der Niedergang eines Mannes, der gut sein wollte – das ist die Geschichte von Döblins Franz Biberkopf, der nun Francis B (Welket Bungué) heißt. Ein Boots-Flüchtling aus Afrika, wie ein eindringlich roter Albtraum mit Visionen vom Ertrinken zu Anfang eindringlich klar macht. Es sind starke metaphorische Bilder: Ein Stier fürs Francis' unkontrollierbare Wut, die Welt auf dem Kopf. Burhan Qurbani („Wir sind jung. Wir sind stark") macht aus dem innovativen 20er-Jahre-Roman Döblins (1929), der noch bei der ersten Verfilmung von Phil Jutzi (1931) mitarbeitete und literarisch einen „Kino-Stil" propagierte, ein zeitgemäßes und kraftvolles Drama mit eigener Bildsprache.

Ja, er wollte ehrlich sein, dieser eindrucksvoll große und starke Francis aus dem westafrikanischen Guinea-Bissau, auch wenn er bei der dreckigen Arbeit ausgebeutet wird. Als er wegen der Illegalität einen verletzten Kollegen nicht ins Krankenhaus bringen soll, rastet Francis brutal aus. Dieser erste Schlag des Schicksals führt ihn zum diabolischen deutschen Drogendealer Reinhold (Albrecht Schuch), für den er bald Essen ran und langweilig gewordene Frauen wegschafft. So lernt Francis auch die Prostituierte Mieze (Jella Haase) kennen und lieben. Sie bleibt bei ihm nach dem nächsten Schlag (von denen es fünf geben wird), der ihm einen Arm kosten wird.

Die nüchterne Beschreibung dieser Ballade eines Mannes, den die Gesellschaft nicht ehrlich sein lässt, ist im Off Döblins Text mit junger Frauenstimme. Und nach dem ersten Film von Phil Jutzi aus 1931 (mit Heinrich, ja, der Papa, George) sowie Rainer Werner Fassbinders epochale TV-Serie aus dem Jahr 1980 (mit Günter Lamprecht, Barbara Sukowa, Gottfried John) zeigt der sehr talentierte Burhan Qurbani seine sehr reizvolle Variante und Modernisierung. Diesmal mit dunkelhäutigen Dealern in der Hasenheide und Voodoo-Zauber. Aber wie damals der kollagenhafte Roman fängt auch der Film jetzt viele Orte und Stimmungen Berlins ein: Technoclubs, Parks und Drogen. Hautfarbe und Rassismus sind durchgehend Thema, wenn Francis als Einwanderer sich den deutschen Traum erfüllt: Er verdient sein eigenes Geld, fährt ein deutsches Auto, hat eine deutsche Frau und sogar einen deutschen Namen. Wenn da nicht immer wieder der schräg teuflische Drogendealer Reinhold wäre.

Albrecht Schuch  („Systemsprenger", „Bad Banks") gibt diesen Reinhold faszinierend und gefährlich buckelnd. Joachim Krol („Der Junge muss an die frische Luft") ist als der große Gangster-Boss klasse gegen sein Liebenswert-Klischee besetzt, ein wenig die Fortsetzung von „Mackie Messer". „Berlin Alexanderplatz", diese vielfältige Verführung zum Verbrechen, ist über drei Stunden lang packend, immer wieder niederschmetternd und unbedingt sehenswert. Auch wenn die Handlungsfolge ein wenig konventionell dem Roman folgt. Was vielleicht dem Koproduzenten ZDF geschuldet ist. Die Zeiten sind anders als bei Fassbinder, da leistete sich der WDR 900 Minuten unterbelichtete Filmkunst.