26.6.12

Marieke und die Männer

Belgien, BRD 2010 (Marieke, Marieke) Regie: Sophie Schoukens mit Hande Kodja, Jan Decleir, Barbara Sarafian, Caroline Berliner 85 Min.

Direkt ganz oben auf der Liste der verfilmten großen Lieder landet Sophie Schoukens „Marieke" - das die rührende Vatersuche einer jungen Frau und gleichzeitig ein kurzes wie grandioses Chanson von Jacques Brel. Die zwanzigjährige Titelheldin Marieke Berghoff (Hande Kodja) lebt zusammen mit ihrer verwitweten und deshalb verbitterten Mutter in Brussel. Beide haben sie ein Problem mit Männern, die nicht bleiben: Mariekes ältere Liebhaber gehen immer „danach", Mutters Gatte starb vor 12 Jahren. Sie ist eifersüchtig auf die Lust der Tochter, verkleidet das aber in moralische Vorwürfe, nachdem sie Aktfotos der reifen Männer entdeckt. Marieke will damit die nahen Momente der kurzen Rendezvous bewahren, puzzelt sich aus Detailaufnahmen Hockney-Porträts ihres Liebhabers Harry zusammen, wahrscheinlich soll aus den Hautstücken eher der Vater wieder entstehen. Doch das Wesen zwischen Mädchen und junger Frau wirkt glücklich danach bei ihren lustvollen (Aus-) Flügen und (Kamera-) Fahrten mit dem Fahrrad. Ganz im Gegensatz zur verbitterten Mutter, die nicht nur die überlangen Rosen für ihren Geburtstag abschneidet, sondern auch jede andere Freude. Sie lebt, als wäre sie „mit ihm gestorben".

Das Auftauchen von Jacoby Stern (der großartige Jan Decleir), Herausgeber und Freund des Vaters, bringt Marieke mit den Erinnerungen zusammen, die ihre Mutter immer verschwieg. Jacoby könnte Vaterersatz sein, aber nicht Liebhaber. Ein ganz spannender Moment, als Marieke ihm die Aktfotos zeigt, einem anderen Menschen mit Lebenslust und Mut. Dann pure Gänsehaut, wenn Decleir Brels „Marieke" singt. Mit dem einen Satz, der alles zusammenfasst: „... ohne Liebe, warme Liebe, weint die See..." Marieke ist haltlos ohne ihre Vergangenheit, aber erst recht aus der Spur als die Erinnerung auftaucht.

„Marieke" baut auf ganz einfacher Psychologie auf, spielt die Situation der nach der Liebe eines Vaters suchenden Tochter aber glaubhaft lebendig aus. Die oberflächlich kühle Inszenierung von Sophie Schoukens ist ebenso hervorragend wie die Darsteller Hande Kodja und Jan Decleir. Die Aufnahmen von Kameramann Alain Marcoen zeigen eine vergilbte Retro-Ästhetik im hässlichen Brüssel der Hochhäuser. Denn auch die Architektur spielt mit: Das alte Haus der Familie Berghoff, in dem sich der Vater im Bad die Adern aufschnitt, soll abrissen werden. Auch hier ist es ein Verbrechen, die Vergangenheit zu vergessen.