Italien, BRD, Frankreich 2010 (La solitudine dei numeri primi) Regie: Saverio Costanzo mit Alba Rohrwacher, Luca Marinelli, Isabella Rossellini 119 Min. FSK ab 12
Der Anfang des Films ruft mit einem neonbunten Sommernachtstraum KUNST und endet mit Schrei und Schrecken. Das ist (fast) symptomatisch für ein Werk, das hervorragend gefilmt und gespielt daherkommt, aber trotzdem vermag die Verfilmung von Paolo Giordanos Roman „Die Einsamkeit der Primzahlen" nicht durchgehend zu interessieren.
Sie ist erschreckend magersüchtig, er verstümmelt seinen Arm mit Messerschnitten. Diese einsamen jungen Menschen kauzig zu nennen, wäre arg verharmlosend. Alice (Alba Rohrwacher) und Mattia (Luca Marinelli) gehen wie Gespenster durchs Leben, sie kennen sich, fühlen sich einander hingezogen. Eine Weile darf man rätseln, was sie so traumatisiert hat. In zwei weiteren Zeitebenen erleben wir ihre Kindheit und Jugend: Den hochintelligenten Mattia begleitet seine geistig behinderte und immer wieder schrill aufschreiende Schwester Michaela überall hin, weil es die Mutter (Isabella Rossellini) so will. Sein einfacher Wunsch nach einer Stunde unbeschwertem Kindergeburtstag wird grausam bestraft, Mattia mag fortan keine Partys mehr.
Alices rücksichtsloser Vater drängt das Kind dauernd zum Skifahren, ein schwerer Unfall in Nebel und Schneetreiben folgt, das Mädchen wird fortan als „Hinkebein" gehänselt. Diese prägenden Momente im Leben der beiden werden in einer sehr dichten Parallelmontage unter Techno-Klängen packend erzählt. Davor und danach breitet sich das Leiden schwer aus und füllt beinahe zwei Stunden. Der Horror der Schulzeit, der Verrat einer Freundin, die Traumata der Kindheit lasten auf den beiden wie ein Horror - so sehen die Gänge des Skihotels auch aus wie bei „Shining".
Im schönen Bild des Titels sind beide einsam wie die Primzahlen, die nur durch sich selbst und durch eins teilbar sind. Alice und Mattia seien allerdings noch spezieller, nämlich Zwillingsprimzahlen wie die 11 und die 13. Sie stehen nahe beieinander, können sich aber nicht erreichen, weil immer eine gerade Zahl zwischen ihnen steht. Ganz so schlimm wird es nach einem wenig fröhlichen Film nicht, zumindest die letzte Szene schenkt etwas Hoffnung und Sonnenschein.
Regisseur Saverio Costanzo, der mit dem israelisch palästinensischen Kammerspiel „Private" 1984 den Goldenen Leoparden von Locarno gewann, hat die Literaturverfilmung in dichten Bildern inszeniert. Vor allem der bei uns seltene Genuss der Alba Rohrwachter („I am love"), die für diese Rolle extrem abmagerte, garantiert exzellentes Schauspiel. Auch Luca Marinelli und Isabella Rossellini überzeugen. Doch im Schwelgen in Schwermut setzt der Film das Interesse an ihm aufs Spiel.