Frankreich, Belgien 2010 (Les Emotifs anonymes) Regie: Jean-Pierre Améris mit Isabelle Carré, Benoît Poelvoorde, Lorella Cravotta 78 Min.
Bitter-süße Schokolade oder „Eine Insel namens Udo" auf Französisch: Zwei in ihrem sozialen Umgang sehr eigentümliche und ungeschickte Menschen treffen aufeinander und wie beim Chili, den man sich eigentlich schwer mit Schokolade vereint vorstellen kann, ist diese Melange aus Komödie und Romantik von Regisseur Jean-Pierre Améris ein ganz besonderer Genuss.
Die schüchterne Angélique (Isabelle Carré) bereitet sich mit ihrer Selbsthilfegruppe aus anonymen Romantikern auf einen neuen Job in einer Pralinen-Manufaktur vor. Auf Grund einer Verwechslung wird sie nicht als Schokoladenherstellerin sondern als Handelsvertreterin eingestellt. Und Angélique ist nicht der Mensch, der umgehend Einspruch erhebt. Sie komponiert zwar wunderbare Schokoladen, gerät aber vor Menschen in Panik, auch vor begeisterten.
Nun begegnet sie in der Person ihres Chefs Jean-René (Benoît Poelvoorde) einem Seelenverwandten, der regelmäßig zum Psychiater geht. Dessen Hausaufgaben sind dann die Hölle: Jean-René soll mit der neuen Angestellten Essen gehen. Später soll er gar jemanden berühren, dabei bekommt er nicht mal ein Schulterklopfen hin. Doch Angélique gibt er die Hand. Grob und unbehände zwar, doch im Traum wird es sogar ein Kuss.
Das gemeinsame Abendessen im Restaurant ist eine Tortour: Er muss immer wieder seine durchgeschwitzten Hemden wechseln. Sie hat derweil Zeit, die Kärtchen mit den Gesprächsnotizen zu lesen. Im Dunkeln erwischt er dann einmal ein Hemd mit Rüschen. Schrecklich - und furchtbar komisch, wie die beiden leiden. Dabei könnten sie sich über eine Leidenschaft austauschen, wenn sie mehr voneinander wüssten: Die Schokolade! Doch die eigenen Ängste gebären Missverständnisse und das macht diesen Film so trefflich zart-bitter, zu einer feinen Komödie in schöner Balance zwischen Lachen und Mitleiden.
Derweil steht die Schokoladen-Fabrik Jean-Renés kurz vor der Pleite. Keiner will seine Pralinen, aber die von Angéliques verstorbenem väterlichen Meister Mercier. Für den eigentlich sie anonym Leckereien zauberte. Zur Rettung schwingt nun die Schüchterne den Kochlöffel und tut dabei so, als bekäme sie über Videokonferenz Anweisungen eines geheimnisvollen Meisters. Die neuen Kreationen sind selbst auf der Lebensmittelmesse ein großer Erfolg. Das gemeinsame Doppelzimmer - alles andere ausgebucht - den beiden so unheimlich, dass sie lieber stundenlang durch den strömenden Regen spazieren und er aus lauter Verlegenheit mit einer Roma-Band „Oci ciorni" schmettert. Noch eine umwerfende Szene!
Eigentlich ist alles lieblich und wunderbar komisch bei diesen „Anonymen Romantikern". Wie die Mitarbeiter den schüchternen Chef zurecht stoßen, wie sich die beiden innerlich Verklemmten den Schoko-Schmelz gemeinsam auf der Zunge zergehen lassen und dann ihre Küsse zum Nachtisch genießen. Dabei ist die französische Kino-Leckerei längst nicht so überzuckert wie einst „Chocolat" und die emotionalen Probleme sind trotz der Amelie-ähnlichen Atmosphäre ziemlich gut aus dem Leben gegriffen.
Neben der Komikerin Isabelle Carré, die ihre Schokoladenseite zeigt, ist Benoît Poelvoorde („Mann beißt Hund", „Nichts zu verzollen") ein Trumpf in Sachen Besetzung. Der Belgier kann so herrlich trocken schauen und verkörpert perfekt den im wahrsten Sinne herzlichen Humor - herrlich ist er noch dazu!