18.1.10

A serious man


USA 2009 (A serious man) Regie: Ethan Coen, Joel Coen mit Michael Stuhlbarg, Richard Kind, Fred Melamed, Sari Lennick 106 Min. FSK ab 12

Nach der gleichnamigen Romantrilogie von Robert Anton Wilson beschert uns „Schrödingers Katze“ nun einen äußert ungewöhnlichen Film der Coen-Brüder Ethan und Joel: „A serious man“ ist bislang der stärkste Ausdruck des Transzendenten, das immer mal wieder in den Coen-Filmen aufblitzte. Denn neben den Spaß- („Ladykillers“, „Ein unmöglicher Härtefall“) und den Krimi-Coens („Fargo“) gab es auch den meist ohne Gottes-Bezug oder -Suche verkannten „The Man Who Wasn't There“ mit Billy Bob Thornton.

„Schrödingers Katze“ war ein Gedankenexperiment des österreichischen Physikers Erwin Schrödinger aus dem Jahr 1935, das einen Ansatz von Einstein & Co. widerlegen sollte, in dem ein physikalisches Teilchen gleichzeitig existieren und nicht existieren kann. Wenn sich schon Teilchen so prätentiös verhalten, wie schwer ist es dann erst, über die Existenz eines Gottes nachzudenken! Ein Physiker auf Gottessuche ist bei einer Religion, deren Ausprägung Kabbala auch mal mathematisch vorgeht, gar nicht so weit hergeholt. Zwar zweifelt der jüdische Physik-Professor Larry Gopnik (Michael Stuhlbarg) nicht an seinen Gott, doch er rätselt schon darüber, was sein Leben - vor allem in letzter Zeit - für einen Sinn hat: Der Nachbar in der ordentlichen Vorstadt raubt ihm immer mehr der Rasenfläche. Seine Frau Judith will die Scheidung und zusammen mit dem Liebhaber beschließt sie, es wäre besser, wenn Larry in ein Motel zieht. Der kurz vor der Bar Mitzwa stehende Sohn braucht ihn nur als TV-Mechaniker und dann gibt es auch noch seinen gestörten Bruder Arthur, der dauernd das Bad blockiert und illegale Wettsysteme entwickelt. Alle treten ihm auf die Zehen, doch der stille Larry kommt nicht mal dazu, eine Beschwerde auszusprechen. Er kann nur staunend auf die groben Menschen schauen, steigt dafür sogar aufs Dach, um sich die ganze, seltsame Sache von oben anzuschauen.

Es geht in „A serious man“ nicht an erster Stelle um die Theodizee, um die Zweifel des gläubigen, aber von Gott geschlagenen Hiob. Larry verzweifelt nicht am Widerspruch eines allmächtigen, gütigen Gottes und all des Bösen in der Welt. Larry verkraftet nur nicht all den Mist, den ihm das Schicksal vorsetzt und stürzt in immer heftigere Albträume. Aber es geht schon um mehr: Da gibt es im ostjüdisch angesiedelten Vorspann einen Dibbuk, da landet über ein Santana-Album der ägyptische Gott Abraxas im Film und eine verführerische, moderne Nachbarin könnte mit Joints und einem unwiderstehlichen Blick Nachfahrin der Samson-Verführerin Delilah sein.

„A serious man“ ist nebenbei auch ein ziemlich witziger Film. Wie Larry mit seinem Leben vor die Wand fährt, wird so genüsslich detailliert seziert wie in vielen guten, kritischen Jugendfilmen. Das Staunen über eine Welt, die von lauter extrem seltsamen Wesen bevölkert ist, ähnelt sich. Wir sind in den Sechzigern, als iPods noch kleine Transistorradios mit nur einem Knopf im Ohr waren. Die Umgebung, in der die jüdischen Coen-Brüder selber aufgewachsen sind, wirkt mit viel Zeitkolorit in Klamotte und Kulisse sehr schräg. Schräger noch die Typen, die durchs Bild wackeln. Normal - was im Amerika dieser Zeit so als normal galt - wirken nur die Jugendlichen. Wenn auch die bekiffte Bar Mitzwa des Sohnes wieder eine grandiose Lachnummer ist. Es handelt sich hier nicht um den klischeehaften „jüdischen Humor“, außer vielleicht ganz am Ende der Endtitel: „No Jews were harmed during the making of this picture“ steht da: Keine Juden wurde während des Drehs verletzt.

In dieser trotz klarer Bilder (wie immer von Roger Deakins) konfusen Welt voller Verrückter sucht man Rat beim Rabbi. Denn: „wir sind Juden, wir haben all die alten Geschichten, die uns helfen“! Doch die Rabbi-Räte sind nur die i-Tüpfelchen der an sich schon skurrilen Vorkommnisse. Lösungen liefern sie ebenso wenig wie dieser am Ende offene Coen-Film. Mit einer weiteren schlechten Nachricht zieht ein Tornado heran. In dem bis zu Jefferson Airplane („Somebody to love“) weit spannenden Soundtrack von Carter Burwell gibt das jiddische Lied „Dem Milners Trern“, gesungen von Isidor Belarsky, eine schauerliche, dann doch gewichtig historische Interpretationsmöglichkeit des vordergründigen Spaßes:
„Vom Glück verlassen, bin ich geblieben,
ohne Weib, ohne Kind, oh hier alleine.
Die Räder drehen sich, die Jahre vergehen,
und elend bin ich wie ein Stein.
 
Wo werde ich wohnen? Wer wird mich schonen?
Ich bin schon alt, ich bin schon müde.
Die Räder drehen sich, die Jahre vergehen,
und auch mit ihnen vergeht der Jude.“