10.1.10

Ein Sommer in New York - The Visitor


USA 2007 (The Visitor) Regie & Drehbuch: Thomas McCarthy mit Richard Jenkins, Hiam Abbass, Haaz Sleiman, Danai Jekesai Gurira 108 Min. FSK: ohne Altersbeschränkung

Zuerst muss die Kritik mal wieder meckern: Der deutsche Titel dieses bemerkens- und sehenswerten Films ist dämlich. Wer eine Romanze vor Postkarten erwartet, ist im falschen Film. „The Visitor“ - Der Besucher lautet die sinnvolle Bezeichnung des zweiten Films vom Schauspieler Thomas McCarthy, der mit „The Station Agent“ 2003 ein sagenhaftes Regiedebüt hingelegt hatte.

Walter Vale (Richard Jenkins) ist einer der Besucher von „The Visitor“: Der über sechzig Jahre alte Wirtschafts-Professor übernachtet nach vielen Jahren wieder mal in seiner New Yorker Zweitwohnung. Er soll eine Kollegin bei einem Vortrag vertreten, dabei hat er sich doch schon längst von der Forschung verabschiedet und wiederholt nur noch die immer gleiche Vorlesung. Walter steht fragend in seinem geregelten Leben, will unbedingt Piano spielen, wie seine verstorbene Frau, obwohl er dazu überhaupt kein Talent hat. Der Mann mit dem schmalen Gesicht stellt keine übermäßig dramatische Erscheinung dar - zum Glück vereinnahmt William Hurt nicht auch diese Figur in seinen Schmerz-Katalog.

Doch im Appartement gibt es ungebetene Besucher: Tarek Khalil (Haaz Sleiman) und seine Freundin Zainab (Danai Jekesai Gurira), zwei illegale Einwanderer, werden von Walter überrascht. Allerdings saßen sie einem Betrüger auf, stehen nun schuldlos auf der Straße, weshalb sie Walter wieder herein bittet. Aus der großherzigen Geste entwickelt sich für einige Tage eine ungewöhnliche WG. Der alte Professor und der junge Trommler aus Syrien freunden sich an. Walter entdeckt zaghaft seine Leidenschaft fürs Trommeln und diese Lust steckt an. Doch dann hält man Tarek fälschlicherweise als Schwarzfahrer in der U-Bahn fest. Es kommt heraus, dass sein Einwanderungsantrag vor Jahren abgelehnt wurde, er landet in Abschiebehaft in einem privat betriebenen Gefängnis am Rande der Stadt.

Walter engagiert direkt einen Anwalt und besucht Tarek täglich im Gefängnis, aber es sieht nicht gut aus. So kommt auch Tareks Mutter Mouna Khalil (Hiam Abbass) in die Stadt, eine völlig integrierte, elegante Amerikanerin syrischer Abstammung - allerdings auch sie ohne Aufenthaltsgenehmigung. Zwischen Walter und Mouna entwickelt sich ein besonders Verständnis…

„The Visitor“ ist ein ruhiger Film, fast ein wenig zerstreut und suchend wie seine Hauptfigur Walter. Doch er findet sich in den Menschen, die zufällig in seiner Wohnung leben. Hier kann man nun eine schöne Utopie herauslesen, dass auch ein Land eine Behausung für verschiedenste Menschen sein kann und dass aus dem Zusammenwürfeln des Schicksals ziemlich gute Gemeinschaften entstehen können. Nur so plakativ erzählt Tom McCarthy nicht, auch wenn er immer wieder nationalistische Symbole und höhnische Integrations-Aufrufe ins Bild bringt. McCarthy lässt seine Figuren leben - miteinander und füreinander. Was trotz der dramatischen Entwicklung Hoffnung schenkt.

Die Darsteller agieren eindrucksvoll. Vor allem Hiam Abbass, eine enorm präsente Frau im aktuellen Weltkino: Von Spielbergs „München“ bis zum palästinensischen Grenzdrama „Lemon Tree“, von der „Syrischen Braut“ bis zu Jarmusch „Limits of Control“. Und auch ihre Rolle der Mourna erobert mit wenigen Worten den Kino-Raum. Man muss es einfach hinnehmen, dass diese Mutter nicht mehr weggehen wird, bevor ihr Sohn aus dem Gefängnis ist. Und wie ist eigentlich die Situation in Deutschland? Diese Frage stellt sich gerade in den Tagen, nachdem neu geklärt werden muss, wieso ein Einwanderer in einer Hamburger Gefängniszelle verbrennen konnte. Obwohl der Film schon 2007 erstmals zu sehen war, bleibt er also erschreckend aktuell.