14.10.08

Neulich in Belgien


Belgien 2008 (Aanrijding in Moscou) Regie: Christophe van Rompaey mit Barbara Sarafian, Jurgen Delnaet, Johan Heldenbergh 106 Min. FSK: ab 6

Neulich in Belgien gab es plötzlich eine Menge mehr Geld für den Film. Und so kriegen wir endlich auch etwas von dem enormen Filmtalent des Nachbarlandes mit. Zum Beispiel diesen umwerfend komischen, anrührend echten und sehr schön bodenständigen Erstling des Flamen Christophe van Rompaey.

„Mein Mann ist in der Midlife-Krise, meine älteste Tochter steckt in der Pubertät, meine andere Tochter, glaubt dass sie in der Pubertät ist und mein Sohn kommt nicht in die Pubertät! Und mein Auto muss in die Werkstatt. Mein Leben ist ein Tränental.“ Ohne zwischendurch zu atmen, macht die 43-jährige, alleinerziehende Matty das Drama ihre Existenz klar und deutlich.

Die Anspannung eines tristen Lebens entlädt sich nach einem kleinen Zusammenstoß vor dem Supermarkt. Der Streit nach dem Blechschaden zwischen Matty und dem LKW-Fahrer Johnny ist viel heftiger als der Unfall. Beide sind frustriert, seine Frau schnappte sich einen reichen Notar. Ihr Mann eine 22-jährige Studentin. Doch seine Fernfahrer-Liebe mit ganz einfachen und doch poetischen Liebeserklärungen gibt nicht auf. Der erste gemeinsame Sex im Lastwagen zeigt, wie gut gefedert diese Kabinen heutzutage sind. Auch ansonsten schüttelt man sich öfters vor Lachen.

„Neulich in Belgien“ ist Leben auch nicht einfach. So hat Johnny eine Vergangenheit als Alkoholiker, schlug seine Frau und war mehrfach im Gefängnis. Und man lebt bodenständig: Hier sitzt man(n) auch nachts nackt am Steuer - am Steuer eines Lastwagens.

Rau und mit viel Herz, so beeindruckt Matty zwischen zwei Männern. Ihren untreuen Mann, der fast sechs Monate eine Affäre hat, schnauzt sie an: „Du willst auch alles haben: Die Rosinen, die Rosinenbrötchen und die Frau vom Bäcker.“ Höhepunkt des Gefühlschaos ist ein Abendsessen mit beiden. Zum Dessert stellt Tochter Vera erstmals ihre lesbische Geliebte vor. „Camioneur“ Johnny bringt Matty zu kleine Schuhe aus Italien und ist ansonsten entfernt verwandt mit seinem deutschen Berufkollegen (Andreas Schmidt) aus Andreas Dresens „Sommer vorm Balkon“. Diese Lebensnähe und Authentizität, die auch viele dänische Filme zeigen, wurde sehr glaubwürdig gespielt - man muss für diesen schönen Film inständig hoffen, dass die Synchronisation dies nicht alles nachträglich in die Tonne haut. Die unglaublich guten Dialoge, die fein beobachteten Menschen direkt ins Herz blicken und immer wieder umwerfend komisch sind. Die trockenen Bemerkungen mit ihrem feinen Humor, von einem Akkordeon mit Melancholie und Schwung im wechselhaften Lauf des Lebens begleitet.

„Neulich in Belgien“ spielt in einer Arbeitersiedlung am Rande von Gent. Sie wird Moskau genannt, daher auch der Originaltitel „Aanrijding in Moscou“, Unfall in Moskau. Zufällig fällt der deutsche Filmstart mit dem Internationalen Filmfestival in Gent zusammen. Weniger zufällig ist ein Boom belgischer Filme. Nicht nur in der Wallonie in Folge der Festival-Erfolge der Brüder Dardenne, die zwei Goldene Palmen in Cannes gewannen. Auch in Flandern sind mehr und erfolgreichere Filme zu verzeichnen. So startet diese Woche auch das mehrfach ausgezeichnete Cyber-Drama „Ben X“ auf DVD. Hintergrund des Booms ist „Tax Shelter“, eine Filmförderung durch Steuerabschreibung. So bekommt man mit, wie das Leben „Neulich in Belgien“ verläuft: Echt, mit viel Herz und Humor.