21.10.08

Die Stadt der Blinden


USA 2008 (Blindness) Regie: Fernando Meirelles mit Julianne Moore, Mark Ruffalo, Danny Glover 121 Min. FSK: ab 12

Der geniale britische Regisseur Derek Jarman reagierte auf seine eigene zunehmende Erblindung konsequent mit dem Film „Blue“ - ein Hörspiel zu blauer Leinwand, eigentlich kein Kino und doch ein tief berührender Film! Fernando Meirelles („City of God“, „Der ewige Gärtner“) zeigt in seiner mit vielen großartigen Schauspielern besetzte Parabel von Licht und Dunkelheit die Blindheit in strahlendem Weiß. Was man in der Verfilmung des Romans von Nobel-Preisträger Jose Saramago jedoch sieht, ist umso grausamer...

Ist der Mensch gut oder tarnt er seinen Wolfspelz nur mit dem Lammfell der Zivilisation? Sobald die ersten Fälle einer mysteriösen „Weißen Blindheit“ auftreten, erleben wir Fürsorge und ihr Gegenteil. Das erste Opfer ereilt die Krankheit in seinem Auto. Der Japaner wird von einem nur scheinbar freundlichen Passanten nicht nach Hause gefahren, sondern des Autos beraubt und ausgesetzt. Die Frau eines Augenarztes (großartig: Julianne Moore) hingegen opfert sich und begleitet ihren erkrankten Mann sogar in die Isolation der Quarantäne. Auch wenn sie dafür vorgeben muss, selbst erblindet zu sein. Unter unmenschlichen Zuständen werden die Blinden in einer alten Nervenheilanstalt sich selbst überlassen und entwickeln politische Systeme, um das Chaos zu ordnen. Von Demokratie geht es über eine im Zimmer 3 scherzhaft eingeführte Monarchie schnell zu Diktatur und Terror. Eine Gruppe unter Führung des brutalen „Königs“ (Gael García Bernal) und seines sadistischen, schon seit Kindheit erblindeten Buchhalters (Maury Chaykin) hortet die rationierten Nahrungsmittel und gibt sie nur gegen Geld, Schmuck oder Sex mit den Frauen aus.

„So als hätte jemand alle Lichter angeschaltet!“ ... beginnt die Blindheit in dieser erschütternden und nachdenklich machenden Geschichte. Einiges ist sehr offensichtlich in dieser Parabel, die reich an Bildern und Ideen ist: Bereits in der ersten Szene hören wir die Erklärung: „Wir waren schon immer blind. Menschen, die sehen und doch nicht sehen.“ Dramaturgisch verläuft der Film nach den horrenden Zuständen in der Quarantäne etwas im Wohlgefallen. Und doch hat der Brasilianer Meirelles seine Parabel ums Sehen, das ja eigentlich das Fühlen, das Mitfühlen ist, nuanciert gestaltet. Die extreme Situation erlaubt Bilder von Nacktheit, Körper die befreit von den Blicken aufleben. Einige leiden daran, nicht sehen zu können, andere ertragen es nicht, nicht gesehen zu werden. Und der weise Erzähler erwähnt, dass man nun den Menschen tief drinnen, der – wie die Figuren des Films - keinen Namen trage, sehen könne. Da begegnen wir aber auch dem von Geburt an Blinden, der nun gleichgestellt, zum Wolf an seinen Mitblinden wird. Er raubt und vergewaltigt, er zahlt die Gnadenlosigkeit, die er vielleicht erfahren hat, heim.

Der Film hingegen verläuft gnädig. Die Reise in die Dunkelheit der menschlichen Seele endet mit einem familiären Traum – fast zu schön, um wahr zu sein. Meirelles gelingt die schwierige Umsetzung eines als unverfilmbar geltendes Romanes mit seinen poetischen Bildern, seinen großartigen Schauspielern und moralischen Setzungen, die Diskussionsstoff bieten. Dass diese komplexen Gedanken meist auf der Tonspur zu hören sind, ist noch eine Fußnote zur Kuriosität eines Films über Blindheit.