18.5.07

Lebendige Magie

Unvergessliche Filmgeschichte und –Geschichten. Die besten Filmemacher der Welt. Magische Orte und Momente. Cannes macht am Sonntag einen Moment Pause, um auf sich selbst zu blicken. Auf den Mythos, an dem gleichzeitig eifrig und leidenschaftlich weitergeschrieben wird: „Chacun son cinema“ heißt die Kompilation von 33 berühmten Regisseuren, die jeder einen dreiminütigen Kurzfilm drehten. Derweil erlebt der Film im Wettbewerb mit David Finchers „Zodiac“ packende und mit dem Russen Andrei Zviaguintsev packend andere Geschichten.

Cannes, das sind die Namen, die Stars, der Sternenstaub, für den Menschen stundenlang anstehen, um einen guten Platz zu haben bei den allabendlichen Defilees über den Roten Teppich, der hier eine rote Treppe ist. Für die anderen glänzt Cannes wegen der anderen Namen, der Namen von Filmemachern mit ihren ganz eigenen Handschriften, den Autoren. Da wartet man auf den neuen Wong Kar-Wai oder einem weiteren Tarantino schon mal ein paar Jahre und plötzlich, hier in Cannes, scheinen sie alle das lang erwartete Geschenk unterm Arm zu haben. Und für noch ein paar andere geht es um die Abermillionen, mit denen Film im Keller des Filmpalastes ge- und verkauft wird. Der Glanz von bunter Action aus aller Welt riecht hier eher billig nach Plastik.

Vor Finchers „Zodiac“ zweifelte man kurz: Ist der Regisseur von „Seven“ und „Fight Club“ Cannes-Material? Also ein Autor mit eigener Handschrift? Nach 150 Minuten Jagd auf einen Serienkiller, die so ganz eigen gestaltet war, fiel sogar der Name Scorsese in den Besprechungen. Ein Ritterschlag für den Amerikaner. Er wandelte den Thriller in persönliche Obsessionen eines Zeitungskarikaturisten (Jack Gyllenhaal). Dazu ein perfektionistischer Retrostil, der die Jahrzehnte aufleben lässt, in denen Zodiac in Kalifornien mordete und die Polizei mit Briefen und Rätseln narrte.

 

Der Russe Andrei Zviaguintsev gewann mit „The Return“ den Golden Löwen von Venedig, ist knapp über vierzig und filmt, als wenn kein Körnchen im Bild verändert werden könnte. Dazu passte die griechische Geschichte des Bildhauers, der sein Kunstwerk nur freilegen muss. Die Steppenlandschaften, die britisch oder belgisch wirkenden Industriestraßen, die Gebäude wie von Tarkowsky … „Izgnanie“ (Die Verbannung) ist aus einem Guss, biblisch, höchst intensiv. Das Drama fesselt mit den intensiven Emotionen ursprünglich wirkender Figuren – da kann man ruhig eine Weile warten, bis die Tragödie zweier Brüder und einer vom falschen Mann Schwangeren offen liegt.

 

Das alles erlebt man in den zu üppigen roten Sesseln des Grand Theatre Lumiere. Und könnte in einem Moment der Ruhe sinnieren, welche Palmen-Sieger hier in früheren Jahren vor Aufregung geschwitzt, vor Freude geweint haben. Es ist das Grandiose an Cannes, lebendige Geschichte zu sein. Die „Preluden“ vor dem Wettbewerb zeigen diese Reflektion, kurze Begegnungen aus der Filmgeschichte mit Menschen vor und auf der Leinwand. Von Fellini, David Lean oder Buster Keaton. Und all das soll „Chacun son cinema“ am Sonntagabend mit einem sensationellen Auflauf an Prominenz feiern: Theo Angelopoulos, Manoel De Oliveira, Atom Egoyan, Aki Kaurismaki, Takeshi Kitano, Nanni Moretti, Roman Polanski, Lars Von Trier und Wim Wenders gehören zu den 33 Regisseuren, die jeweils in drei Minuten den Stand ihres Kinos reflektieren. Diese Regel bedeutete keineswegs eine Einschränkung: Wenders flmte im Congo und David Cronenberg in den Toiletten!