12.11.14

Ich darf nicht schlafen (2014)

USA, Großbritannien, Frankreich, Schweden 2014 („Before I go to sleep") Regie: Rowan Joffe mit Nicole Kidman, Colin Firth, Mark Strong, Anne-Marie Duff 92 Min. FSK: ab 12

Und ewig grüßt das Murmeltier ... aus der Perspektive des Murmeltiers erzählt. Was für eine vortreffliche Idee. Nur leider trägt dieser Albtraum Namen und Gesicht von Nicole Kidman. Sie spielt Christine, eine Frau, die jeden Morgen in einer fremden Wohnung neben einem Fremden aufwacht. Christine hat anterograde Amnesie, sie vergisst jede Nacht, was an den Tagen vorher geschah. Schuld ist ein Unfall vor zehn Jahren, erzählt ihr Mann Ben (Colin Firth) jeden Morgen mit Engelsgeduld. Er zeigt die Fotos ihrer Ehe, von der gemeinsamen Hochzeit und weist auf die Bedienungsanleitung für ein täglich neues Leben, die auf Tafeln und Post-Its an der Wand hängt.

Doch kaum verabschiedet sich Ben zur Arbeit, kümmert sich noch ein anderer Mann aufwändig um die verwirrt in die Welt blickende Frau mit passendem wirren Haar. Dr. Nash (Mark Strong) erinnert Christine mit einem Telefonanruf an das Videotagebuch, das sie heimlich führt und im Kleiderschrank versteckt. So bringt sie sich selbst auf den Wissensstand von gestern, bevor sie mit Dr. Nash losfährt, um zu erfahren, was in der Vergangenheit eigentlich geschah. Denn Ben verschweigt anscheinend eine Freundin und sogar ein gemeinsames Kind.

So ein alltäglicher nächtlicher Gedächtnisverlust bedeutet hier keine romantisch komischen „50 erste Dates" wie es Drew Barrymore und Adam Sandler vorspielten. Aber „Ich. Darf. Nicht. Schlafen." ist auch erstaunlich weit von „Memento" entfernt, Christopher Nolans sensationellen Thriller über Gedächtnisverlust, der einem nie mehr aus dem Gedächtnis geht. Sehr konventionell erzählt Regisseur Rowan Joffe in „Ich. Darf. Nicht. Schlafen." den gleichnamigen Roman von S.J. Watson nach. Wer erlebt hat, wie verzweifelt und raffiniert Leonard in „Memento" seine neuen Erkenntnisse letztlich sogar auf der eigenen Haut festgehalten hat, kann Gähnen angesichts der jetzt lahmen und lückenhaften Dramaturgie nicht unterdrücken. Wobei „Ich. Darf. Nicht. Schlafen." nicht ohne Spannung ist und im ambivalenten Spiel von Colin Firth auch ein paar Abgründe anlegt. Doch bis auf die letztliche Enthüllung nimmt die Spannung vor allem ab - eine schlechte Entwicklung für einen Thriller. Nicole Kidman spielt sich hier etwas Wächsernes zusammen, was ihr den Ehrentitel „Vroni von Hollywood" einbringen könnte. Vor allem, da es von ihrem Gesicht abhängt, das Schreckliche dieser allmorgendlichen Verlorenheit zu vermitteln (das nur Morgenmuffel voll zu verstehen vermögen), kann man diesen Film wegen einer ausnahmsweise zu zurückhaltenden Kidman vergessen.





10.11.14

Bevor der Winter kommt (2013)

Frankreich, Luxemburg 2013 (Avant l'hiver) Regie: Philippe Claudel mit Daniel Auteuil, Kristin Scott Thomas, Leïla Bekhti, Richard Berry 102 Min. FSK: ab 12

Ziemlich exakt manövriert sich der erfolgreiche Hirn-Chirurg Paul (Daniel Auteuil) bei seinen OPs durch die Köpfe anderer Menschen. Was jedoch tatsächlich in diesen und in ihren Herzen vor sich geht, bekommt der gut situierte Arzt nicht mehr mit. Das wirft ihm sein bester Freund Gérard (Richard Berry) vor und der ist schließlich Psychiater sowie hinter Pauls Frau Lucie (Kristin Scott Thomas) her. Doch es ist Paul selbst, der in diesem gemächlichen Drama sein gutbürgerliches Leben zerbröseln lässt.

Nach einer zufälligen Begegnung mit Lou (Leïla Bekhti), stellt ihm diese sehr aufdringliche junge Frau nach. Anonym zugestellte Rosensträuße im Büro, Zuhause und in der Klinik treiben ihn in den Wahnsinn. Aufdringlich auch im Bild mit ihren roten Oberteilen und in der Geschichte mit typischen Femme Fatale-Beschäftigungen wie Studium der Kunstgeschichte, Kellnerjob und Prostitution. Der blaue Engel ist also diesmal in Rot gekleidet und Professor Unrat operiert am Gehirn.

Ein gesetzterer und rundlicher Auteuil „füllt" tatsächlich die Rolle des arrivierten und seines Lebens überdrüssigen Arztes trefflich aus. Doch bei ähnlich eindrucksvoller Besetzung ist „Bevor der Winter kommt" wesentlich schwächer als Claudels Vorgänger „So viele Jahre liebe ich dich" mit Scott Thomas damals als Straftäterin nach ihrer Haft. Claude versucht wieder die ruhige Intensität des Alltäglichen einzufangen. Diesmal gibt es jedoch eher aufgesetzt einen Krimifall als Rahmen und Hintergrund. Der passt allerdings im übertragenen Sinne wunderbar in die bürgerlichen Ängste vor Verführung und Bedrohung. Wobei der Films selbst meist gesetzt und träge wirkt.

Bären (2014)

USA 2014 (Bears) Regie: Alastair Fothergill, Keith Scholey 78 Min. FSK: ab 0

Nach den „Schimpansen" nun also die „Bären" als nächster Naturfilm von Disney. Wobei man „Natur" durchaus in Anführungszeichen setzen kann, denn wichtiger als wissenschaftliche Darstellung ist hier immer das Erzählen von Geschichten über den „Circle of Wildlife". Direkt mit der Geburt beginnt die Personifizierung der Helden dieses neuen Disney-Naturfilms - alle bekommen einen Namen. Die getaufte Bärenmutter zieht danach mit ihren beiden Jungen aus den Bergen Alaskas zu den Lachsen an der Küste. Das liefert beim ersten Ausflug im Schnee wieder großartige Aufnahmen mit den kleinen Baby-Bären und der großen Mutter vor noch riesigeren Bergen. Aufnahmen, bei denen man sich auch dauernd fragen kann, wie sie das gemacht haben.

Dazu gehört auch das typische Überdramatisieren mit einer Lawine, die wahrscheinlich nicht wirklich in der Nähe der Bären abgeht. Das ist bei allem Staunen bei Klein und Groß das Unangenehme, weil deutlich Falsche, an solch perfekt inszenierten Tier-Filmen.

Dabei ist im Original der schmissige Kommentar des sympathischen Schauspielers John C. Reilly eine Qualität für sich. Er füllt die informativen Lücken, die überall klaffen wie das Gebiss brüllender Bären, mit humorig eingefühlten Kommentaren, etwa über den Geruch der Bärenhöhle nach dem Winterschlaf. Die reichlich niedlichen Momente stolpernder und purzelnder Fellknäuel werden angekündigt mit Sprüchen wie: Gleich erfährt er, wie es ist, ohne Sicherheitsgurt auf Bären zu reiten. Die Ein-Mann-Show Reilly spricht alle Rollen mit großer Begeisterung, denn es reicht ja nicht selbst zu schauen und zu beobachten. Denken müssen die Zuschauer hier schon mal gar nicht. Das ist dann fast so schlimm wie völlig deplatzierte, schmissige Country-Liedchen. Ja klar, denn echte amerikanische Bären hören schließlich keinen Punk oder Klassik. Aber wenigstens haben sich die Macher diesmal nicht mitreißen lassen, für die kleinen Kinogänger zu dramatische Szenen einzubauen. Geweint wird also erst, wenn wieder eines der von Disney erzogenen Kinder im Zoo durch die Gitterstäbe krabbelt...

Ruhet in Frieden - A Walk among the Tombstones

USA 2014 (A Walk among the Tombstones) Regie: Scott Frank mit Liam Neeson, Dan Stevens, Boyd Holbrook, Brian "Astro" Bradley, Ólafur Darri Ólafsson 115 Min. FSK: ab 16

Dieser Typ ist ein ganz Großer. Ok, Liam Neeson misst Einmeterdreiundneunzig. Aber was kann man nicht alles mit hohen Hacken und Apfelsinenkisten machen - da muss man nur Al Pacino oder Dustin Hoffman fragen. Doch Neeson wirkt immer gewaltig und mächtig, selbst in größter Verzweiflung seiner Figuren, etwa wenn sich bei „96 Hours" der Vater eines entführten Mädchens mit Folterszenen im Kopf zu den Verbrechern durchschlägt. Kaum erträgliche Verbrechen setzen auch die Stimmung und motivieren die Jagd in „Ruhet in Frieden - A Walk among the Tombstones". Die Verfilmung von Lawrence Blocks gleichnamigen Roman ist eine dieser düsteren Verbrechens-Geschichten, von denen man eigentlich nichts wissen will - und es auch fraglich ist, ob man das wissen muss. Doch wenn, dann bietet das Regiedebüt vom erfolgreichen Drehbuch-Autor Scott Frank („Wolverine: Weg des Kriegers", „Minority Report", „Out of Sight") spannende Unterhaltung. Mit bestem Schauspiel und vor allem ohne die üblichen Renner- und Prügeleien.

Matt Scudder (Liam Neeson) schlurft als privater Ermittler durch New York. Dabei hält er den Leuten seine nichtssagende Dienstmarke so souverän unter die Nase, dass er fast immer ernst genommen wird. Der berufstypische Alkoholismus des Ex-Cops führt ihm über Umwege einen ungewöhnlichen Klienten zu: Einem reichen Dealer wurde die schöne Frau entführt und trotz Lösegeldzahlung bekommt er sie nur in ganz kleinen Pakten zurück, die auf dem See eines Friedhofs treiben. So bekommt Scudder seinen Fall und der Film seinen Titel.

Obwohl Scudder nicht der Typ für Partner ist, drängt sich ihm immer wieder ein aufgeweckter schwarzer Junge (Dan Stevens) mit einigen Verschwörungstheorien im interessierten, klugen Kopf auf. Auch der Rest der Figuren von den Gewöhnlichen bis zu den vorherrschenden Psychopathen ist gut gezeichnet, die Recherche mit einigen Rückblenden zur Tat interessant geschnitten. Neben der erneuten Glanzleistung von Liam Neeson fällt auch auf, dass für solch einen Genre-Krimi wenig herumgerannt und geprügelt wird. Weil dieser Leerlauf ausfällt, fällt die Konzentration auf innere Abgründe umso intensiver aus. „Ruhet in Frieden - A Walk among the Tombstones" ist kein friedlicher Film und es kann passieren, dass einen dieser düstere Zustand der Menschheit länger nicht in Ruhe lässt. Gute Unterhaltung auf jeden Fall, jedoch keine leichte Kost.

Mommy (2014)

Kanada 2014 Regie: Xavier Dolan mit Anne Dorval, Antoine-Olivier Pilon, Suzanne Clément, Alexandre Goyette 134 Min.

Auch im „Mommy", dem fünften Spielfilm des genialen und filmisch konstant ödipal fixierten Xavier Dolan geht es dem Franco-Kanadier um das Verhältnis zu seiner Mutter. Wobei diesmal vor allem der Sohn Steve (Antoine-Olivier Pilon) mit einer Mischung aus egozentrischer Aggressivität und unkontrollierbarer AHDS Problem und Herausforderung ist. Keine staatliche Institution außer Knast will ihn mehr aufnehmen. Um ihn zuhause zu unterrichten, müsste die Mutter Diane (Anne Dorval) ihren Job aufgeben, das Geld ist sowieso knapp. Als die stark stotternde Nachbarin und beurlaubte Lehrerin Kyla (Suzanne Clément) den Unterricht von Steve übernimmt, hellt sich das Leben aller Beteiligter auf, Steve beruhigt sich, Diane kann arbeiten und Kyla hört in dieser Umgebung auf zu stottern. Doch bald zwingt der so schillernd und unerträglich extrovertierte Junge die Mutter zu extremen Maßnahmen...

„Mommy" ist eine Art Fussbroichs auf Québecquois, extrem ordinär und selbst für Franzosen nur mit Untertiteln zu verstehen. Wie die Sprache so die Sprecher - flegelhaft wäre noch schmeichelhaft. Im Stile des Films würde man sagen, Dolan ist ein kleiner dreckiger Bastard, der ganz frech ein Melodram im klassischen Stil hinlegt, während er wieder seinen Ödipus abarbeitet. Am Ende gibt es nach vielen sagenhaften Lied-Einlagen noch einen Song von Lana del Rey. Was passt, denn dieser Dolan riskiert auch filmisch eine dicke Lippe.

Bei allen - im Gesamtbild großer Geschichten und Dramen eher niedlichen Provokationen am Rande - muss man diesem extremsten Mutter-Söhnchen des internationalen Kinos für die Dosis frischer und frecher Ideen dankbar sein. Bis auf zwei Sequenzen, in denen das Leben frei, offen und sorglos erscheint, ist die Leinwand beispielsweise ganz schmal auf ein Bild-Verhältnis von 1:1 zusammengepresst. Der erste Moment der Öffnung erhielt 2014 bei der Premiere in Cannes Szenenapplaus. Dazu gab es noch sehr verdient für den tollen Film mit den atemberaubend guten Darstellern den Preis der Jury.

Die Einsamkeit des Killers vor dem Schuss

BRD 2014 Regie: Florian Mischa Böder mit Benno Fürmann, Mavie Hörbiger, Wolf Roth 80 Min.

Was macht die EU eigentlich so, wenn sie keine Bananen gerade biegt oder nach Straßburg und zurück umzieht? Kaum jemand kannte bislang die geheime Geheimagenten-Abteilung der Eurokraten. Was auch ein Grund dafür sein kann, dass Auftragskiller Koralnik (Benno Fürmann) im geheimen Einsatz für seine noch geheimere EU-Sondertruppe seit acht Jahren keinen einzigen Auftrag bekam. Dabei erhielt der Mann der ersten Stunde bei der Ausbildung beste Noten. Da kann selbst der härteste Agent schon mal seltsam werden und Koralnik wurde sehr seltsam. Ein einfacher Einkauf läuft mit generalstabsmäßiger Genauigkeit ab. Koralniks Wohnung ist im Einheitsgrau wie aus dem Psychopathen- oder Nerd-Einrichtungskatalog. Sein Sozialleben sieht hingegen ziemlich schwarz aus. Als der blockwartige Hausmeister von nebenan zu aufdringlich wird, reicht ein Anruf bei der ihrerseits von Koralnik genervten Zentrale, um den mustergültig nervigen aber total harmlosen Mitbürger aus dem Weg zu schaffen.

Das allein vergnügt schon vortrefflich, dann verunfallt auch noch die Betrügerin Rosa (Mavie Hörbiger) in Koralniks Leben. Ein verklemmt romantischer Abend soll mit sehr falsch eingesetzten Drogen zu einer saftigen Spende führen, doch kurz vor dem Vollkoma ruft der erste Auftrag in acht Jahren Koralnik nach Belgien. Prompt geht auf der absurd-komischen Odyssee zu zweit alles schief.

Großartiges Schauspiel lieferte Benno Fürmann in der Komödie „Die Einsamkeit des Killers vor dem Schuss". Unser einst peinlicher Nibelungen-Recke, der schon bei Petzold bessere Seiten zeigte, gewinnt mit dem Alter stark an Charakter. Wie er im schwarzen Anzug mit Rollkragenpullover durch seine einsame Existenz stakst, ist große Komödien-Kunst. Ein manchmal absurder Spaß-Trip durchs Hohe Venn und bis ins Finale bei Verviers. Da will Regisseur Florian Mischa Böder dann noch etwas über den Irrsinn von allgegenwärtiger Bedrohungs-Paranoia aussagen, was auch gesagt werden sollte. Nur verliert der Film dabei etwas von seiner Spaßdichte.

4.11.14

Citizenfour

BRD, USA 2014 Regie: Laura Poitras 114 Min.

Edward Snowden ist mittlerweile als Ikone des digitalen Freiheitskampfes allgegenwärtig. Nur in Regierungskreisen ist er seltsamerweise nicht erwünscht, obwohl auch die ganz persönlich von der NSA abgehört werden. Diese aufschlussreiche und teilweise sogar spannende Dokumentation beleuchtet den heldenhaften Gang Snowdens an die Öffentlichkeit aus nächster Nähe. Denn zur Regisseurin Laura Poitras hatte der Geheimdienstangestellte sehr früh Kontakt und so war sie auch mit der Kamera dabei, als aus einem Hongkonger Hotel die Welt erfuhr, in welch unglaublichen Maße sie von den Geheimdiensten ausspioniert wird. So gab allein ein Telefonanbieter der USA täglich 320 Millionen Datensätze an die NSA weiter. Die digitalen Abhörstationen saugen mit sagenhaften 125 Gigabyte pro Sekunde wahllos jede elektronische Spur unserer Leben auf.

Wie die Person Edward Snowden diese Ungeheuerlichkeiten erzählt, ist auch an sich faszinierend: Wir sehen einen hoch intelligenten, reflektierten Mann, der bewusst für seine Freiheit des Denkens ins Gefängnis gehen würde. Ganz selten wirkt er nerdig, auch die extremen Sicherheitsvorkehrungen kann man bald gut verstehen.

Laura Poitras gelingt es, sowohl das Ausmaß der staatlichen Freiheitsberaubung packend zu verdeutlichen, als auch die Figur Snowdens in einem begrenzten Maße verständlich zu machen. Denn er selbst warnt vor zu großer Personifizierung durch die Medien. Wenn er dann vor den US-Häschern nach Moskau fliehen muss, versucht die Doku, die über Snowden hereinbrechenden Ereignisse nachzuzeichnen. Das ist recht spannend, doch nicht so sehr wie die immer noch nicht komplett aufgearbeiteten Informationen, die Snowden unter großer persönlicher Aufopferung ans Licht der Öffentlichkeit brachte.

Den Himmel gibt's echt

USA 2014 (Heaven is for Real) Regie: Randall Wallace mit Greg Kinnear, Kelly Reilly, Thomas Haden Church, Connor Corum 99 Min. FSK: ab 0

Todd Burpo (Greg Kinnear) hat es als hart arbeitender, liebevoller Familienvater, Pfarrer, Feuerwehrmann, Trainer der lokalen Ringer nicht nur wegen seiner Nierensteine schwer. Sein kleiner Sohn Colton „ging in den Himmel und kam zurück", er hat während einer schweren Operation unerklärliche Dinge gesehen. Wie geht ein braver Bilderbuch-Pfarrer aus einer fast extremistischen US-Gemeinde mit dem Nahtod-Erlebnis um? Der Film jedenfalls sieht aus wie ein Werbetrailer für Christen-Sekte und Weichspüler gleichzeitig. Nicht nur wenn das ganze Dorf gemeinsam betet, weil der kleine Junge im Krankenhaus um sein Leben kämpft, ist dieser „Himmel" ein weinerliches Dokument des äußerst seltsamen Aberglaubens im us-amerikanischen „Bible Belt", dem erzkonservativen Landstrich fern der kulturellen Zentren. In diesem Umfeld kann man kein ernsthaftes oder irgendwie interessantes Nachdenken zu diesem spannenden Thema erwarten.

Plötzlich Gigolo

USA 2013 (Fading Gigolo) Regie: John Turturro mit John Turturro, Woody Allen, Vanessa Paradis, Liev Schreiber, Sharon Stone 91 Min. FSK: ab 0

Sie könnten tatsächlich Vater und Sohn sein: Wie John Turturro als Fioravante, eine Art Ziehsohn von Woody Allens Figur Murray, zwischen alten Büchern des bald geschlossenen Ladens kramen, sehen sie sich sehr ähnlich. Was es noch komischer macht, dass der auch nicht mehr ganz junge Italo-New Yorker bald als „Ho" des „Pimps" Murray einige elegante Frauen glücklich machen wird. Also, dass Murray seinen Freund als männliche Prostituierte vermittelt. Klar, brauchen beide Geld, wie so ein Film einen Handlungsfaden braucht. Doch tatsächlich ist dieser nur ein Vorwand für wunderbare Begegnungen und Menschen-Zeichnungen. Dabei ist gerade nicht das Liebesspiel reizvoll, dass die exzellent gegen das „Basic Instinct"-Image besetzte Sharon Stone als reiche Ärztin mit ihrer Freundin zu dritt erleben will. John Turturro stellt uns als Autor, Regisseur und Hauptdarsteller vor allem Vanessa Paradis als orthodox jüdische Witwe Avigal vor. Ihr „Coming Out" nach Jahren der Trauer unter Kopftuch und religiös verordneter Perücke stellt eine der vielen Perlen dieses auf feine Weise prominent besetzten Filmes dar.

Turturro ist in seinem neuen Spielfilm nach schönen Schätzchen wie „Romance & Cigarettes", „Illuminata" oder „Mac" kein Tom Ford oder Clooney, aber er überzeugt vor allem die Damen mit einer stillen Größe, die nur entfernt an seinen Bowling-Latino aus „The Big Lebowski" erinnert. Wie immer, wenn Woody Allen auch nur als Darsteller dabei ist, ist es auch ein wenig ein Woody Allen-Film, doch was vor allem in den Dialogen sehr viel Spaß man, übertönt nicht die leiseren Momente. Alles zusammen zeichnet ganz nebenbei ein schönes Bild vom multikulturellen Leben in New York, bei dem in Williamsburgh auch schon mal eine jüdische Bürgerwehr in Polizei-Uniform patrouilliert. Vor allem lässt sich der Film wie seine Hauptfigur beim elegant schlüpfrigen Job schön viel Zeit. So dass man immer wieder und schließlich staunen muss: Was macht dieser Mann doch für wunderbare Filme!

Im Labyrinth des Schweigens

BRD 2014 Regie: Giulio Ricciarelli mit Alexander Fehling, André Szymanski, Friederike Becht, Johannes Krisch, Gert Voss 123 Min. FSK: ab 12

Kein schöner Land zu dieser Zeit ... Die Menschen im Wirtschaftswunder-Deutschland, das kaum noch Nachkriegs-Deutschland ist, scheinen die biedere Seligkeit ihres kleinen Glücks zu glauben. Dass Ende der 1950er-Jahre so gut wie niemand unter ihnen ist, dem der Name Auschwitz etwas sagt, ist für den Journalisten Thomas Gnielka (André Szymanski) unfassbar. Denn „die Mörder sind unter uns", in diesem Falle die Henker und Sadisten des Vernichtungslagers Auschwitz.

„Im Labyrinth des Schweigens" ist die Geschichte des jungen Staatsanwalts Johann Radmann (Alexander Fehling), dessen enormes Gerechtigkeitsgefühl bei den Verkehrsdelikten unterfordert ist, und der sich, nachdem er eine Ahnung vom Grauen und Verbrechen in den Konzentrationslagern bekommt, besessen an die Verfolgung der Täter macht. Es beginnt mit einem ehemaligen Mitglied der Waffen-SS, der nach Kriegsende unbehelligt in Frankfurt als Lehrer lebt. Dass er, der an der berüchtigten „Todesrampe" Kranke und schwache Menschen direkt in die Gaskammern „aussortierte", nun ausgerechnet Abstammungslehre unterrichtet, gehört zu den Informationen, die der Film sehr dick und deutlich auftischt. Es ist aber halt aus heutiger Sicht unfassbar, dass eine Bibliothekarin bei der Frage nach Auschwitz auf Reiseführer nach Polen verweist.

Radmann, ein Detektiv alter (Film-) Schule, stößt auf eine massive Mauer des Schweigens in der eigenen Frankfurter Staatsanwaltschaft, bei der Polizei und dem Bundeskriminalamt. Das wusste beispielsweise schon immer, wo sich der Folter-Arzt Mengele aufhielt und dass er regelmäßig wieder nach Deutschland kam. Doch ein Befehl von „oben", also von Kanzler Adenauer, verhindert weiterhin die Festnahme. Unterstützt nur durch den Generalstaatsanwalt Bauer (der großartige Gert Voss in seiner letzten Rolle) recherchiert Radmann mit den damaligen Mitteln in hunderten Telefonbüchern nach dem Verbleib tausender Tätern, die gründliche deutsche Buchführung in den Lagerakten auflistete.

Dabei wird „Im Labyrinth des Schweigens" nicht nur immer spannender, sondern auch durch die furchtbaren Berichte der Opfer, die Radmann als Zeugen zur Aussage bewegt, zu einem erschreckenden und starken Historienfilm. Wie geschickt Regisseur Giulio Ricciarelli in der Verfilmung realer Ereignisse und Menschen geschickt fast nur mit den Reaktionen von Radmann und seiner Sekretärin (Hansi Jochmann), auskommt, zeigt ebenfalls die Größe des Films. Während sich sein Protagonist dabei fast im selbstgerechten Hass auf alle Deutschen verliert, wird die Argumentation immer dichter, ist die deutliche Setzung der Positionen vom Anfang längst vergessen. Alexander Fehling („Goethe!", „Wer wenn nicht wir") trumpft ganz groß im Stile eines Robert Redford auf: Der schicke Anzug, der später Risse bekommt, der entschlossene Blick, der Mengele und Co bis an Ende der Welt verfolgen würde. Und dabei die Menschen um sich herum aus den Augen verliert. Der süßen Freundin Marlene (Friederike Becht) die Vergangenheit des Soldaten-Vaters vorwirft, für den jüdischen Freund Simon (Johannes Krisch) nicht das Kaddisch in Auschwitz, am Todesort von dessen Zwillingstöchtern, sprechen will. Dass wir diesen großartigen Film heute verstehen können, dass wir wenigstens ahnen, welche Verbrechen in der Nazi-Zeit von ganz normalen Deutschen begangen wurden, verdanken wir in einem wunderbaren Zirkelschluss dem, was im Film gezeigt wird. Man muss ihn sehen und erleben - nicht nur, damit Auschwitz nicht irgendwann mal wieder unter „Polen-Touristik" einsortiert wird.

3.11.14

Das grenzt an Liebe

USA 2014 (And so it goes) Regie: Rob Reiner mit Michael Douglas, Diane Keaton, Sterling Jerins 94 Min. FSK: ab 0

Nein, nicht Liebe - das grenzt schon an Körperverletzung: Diese furchtbare Beschäftigungstherapie für zwei bekannte Schauspieler, die Besseres verdient haben und können, sollte man wie Waffen gesetzlich streng verbieten.

Michael Douglas spielt deutlich bemüht, man könnte auch sagen übertrieben, Oren Little, das Ekel der Luxus-Apartments Little Shagrila. Der verwitwete Makler ist gebrechlich und schon länger nicht mehr Nr. 1 im Geschäft. Zudem ist er auch Rassist, mag niemanden, hat aber auch gute Seiten als Hundhasser. Als sein selbstverständlich ungeliebter Sohn, der mit den Drogenproblemen, für neun Monate selbstverständlich unverschuldet in den Knast muss und einen Babysitter für seine neunjährige Tochter Sarah (Sterling Jerins) sowie einen Hund braucht, springt Opa Oren selbstverständlich erst einmal nicht ein. Die zuckersüße Nachbarin Leah (Diane Keaton) übernimmt ungefragt den Job und so können sich die beiden verwitweten Alten annähern. Kaum hat man sich eine halbe Stunde durch das vorhersehbare Drehbuch-Elend gequält, gibt es schon Familienausflüge mit den Senioren, die Sarah nun Oma und Opa nennt.

Besonders ekelhaft ist übrigens die Verachtung des Films für alle Menschen, die nicht ein Haus am See bewohnen. Das sind nämlich alle Junkies und Sträflinge. Voll das Leben also, im Haus am See, wie es sich Hollywood-Autoren mit Haus am See so vorstellen. Ohne Entwicklung oder wirkliches Drama. Man versteht weder, weshalb Oren für mehr als eine Nacht an Leah interessiert ist, noch wieso sie ihn überhaupt toleriert. So verzweifelt muss man doch auch im Altern nicht sein, sich dem Ersten und Schlechtesten an den Hals zu werfen. „Das grenzt an Liebe" ist so unerträglich wie die Bühnenperformance von Leah / Diane Keaton und wird nur noch schlimmer. Sie quält uns und ihr Publikum mit weichgespültem Fahrstuhl-Jazz, während die Aufnahmen versuchen, ihre Falten weich zu zeichnen. Zum Glück fängt sie immer vor dem Ende vom Lied an zu heulen. Ein klebriges Nette-Menschen-Märchen, das reizvoll wäre, wenn man den grimmigen Außenseiter überhaupt erst mal ernst nehmen würde und er nicht von Anfang an zur lebenslangen Besserung verurteilt wäre. Wobei man Oren eigentlich gut verstehen kann, dass er unter lauter laut freundlichen Menschen schlechte Laune bekommen muss. Danach muss man auf jeden Fall einmal Nicholson in „About Schmidt" sehen, um diese eklige Klebrigkeit los zu werden.

Besonders tragisch ist, dass Regisseur Rob Reiner vor zwei Jahrzehnten noch exzellent Filme inszenieren konnte. Man will es nicht glauben - der Gerichtsfilm „Eine Frage der Ehre", die sagenhafte Steven King-Verfilmung „Misery", dazu „Harry und Sally" und auch „Stand by me" sind von ihm. Aber dieses Machwerk vereint nur das Schlechteste, wie auch der Titelsong „Both Sides Now" selbstverständlich ein ausgewählt furchtbares Hippie-Lied von Joni Mitchell ist.

Mr. Turner - Meister des Lichts

Großbritannien, Frankreich, BRD 2014 (Mr. Turner) Regie: Mike Leigh mit Timothy Spall, Paul Jesson, Marion Bailey, Dorothy Atkinson 150 Min. FSK: ab 6

Ein Film über den berühmten Landschaftsmalers William Turner (1775-1851), über einen Giganten der Kunstgeschichte, nicht nur wegen der schieren Menge seiner Arbeiten. Als er im Alter von 76 Jahren starb, hat er dem englischen Staat fast 20.000 Bilder hinterlassen, viele andere sind vernichtet worden. Bei so einem Porträt verhebt man sich leicht, aber nicht Mike Leigh („Another Year", „Happy-Go-Lucky", „Topsy Turvy"). Der Brite hat sich mit „Mr. Turner" einen Lebenstraum verwirklicht. Gemeinsam mit langjährigen Weggefährten, wie Kameramann Dick Pope („Vera Drake"). Die Bilder, die Pope unter anderem im britischen Cornwall einfing, verschaffen immer wieder eine Ahnung dem vom Licht durchleuchteten Gemälde, sind aber auch vom deftigen Leben des von Timothy Spall grandios gespielten Film-Turners durchzogen.

Nach einer wunderbaren Eingangsszene, einem Filmgemälde mit Turner bei einer seiner Reisen in die Niederlande, erleben wir den bereits berühmten Landschaftsmaler William Turner (Timothy Spall) ganz unprätentiös. Ein Schweinskopf wird in Bild gestellt, um die massive Physiognomie des Hauptdarstellers (und auch vieler Nebenfiguren) deutlich zu charakterisieren. Dabei ist der schon zu Lebzeiten teuer geschätzte und von Königin Viktoria verachtete Künstler in seinen groben Gliedmaßen ein ungemein feiner, sensibler Mensch. Der allerdings Probleme hat, sich zu äußern. Was zu einem Grunzen als typischem Grundton seiner Persönlichkeit und des Films führt. Und der zum Weinen tatsächlich in ein Bordell gehen muss, als sein Vater (Paul Jesson), der auch Freund, Assistent, Haushälter, Galerist und Manager war, stirbt.

Höchst sinnlich sind Figur und ihre Darstellung. Beim Essen, das eigentlich Völlerei ist. Bei der triebhaften Kopulation mit dem alten Hausmädchen, das immer mehr von Läusen und Ausschlägen aufgefressen wird. Dagegen setzt Leigh dann die kultivierte Gesellschaft mit den schönen Künsten, in denen Turner nicht nur ein Lieferant für Gemälde in vielen Adelshäusern ist. Er ist anerkannt und wird geschätzt. Seine große Liebe zum Lebensende genießt er lange heimlich und unter Pseudonym, auch um den seltenen Besuchen seiner Ex-Frau, einer furchtbaren Furie, und einer noch schlimmeren Tochter zu entkommen. Dieser Turner ist ein Ungeheuer, aber ein harmloses - abgesehen von dem, was er an Leid bei seinen Frauen zurücklässt.

„Mr. Turner" liefert neben kongenialer Hommage an Turners Gemälde und neben dem Porträt einer ganz außerordentlich bemerkenswerten Person auch Kunst- und Zeitgeschichte: Timothy Spall sei dank sind wir mittendrin in den jährlichen Ausstellungen der Akademie mit ihrem Gezänk und all den Neidern. Wir erleben den animalischen Maler, der auch vor Ladys und jungen Damen auf seine Leinwand rotzt. Und wie ihn in späten Jahren neue Moden zum Abstrakten zum Außenseiter machen. Turner war ein Maler an der Grenze zur Moderne, die mit Eisenbahn und Fotografie Einzug hielt, was er selbst mit Begeisterung verfolgte.

Timothy Spall („Topsy-Turvy", „Harry Potter") verkörpert mit voller Wucht den Maler als Monolith der Kunstgeschichte und zwischen seinen Mitmenschen. Zwei Jahre hat er Unterricht genommen, um Turners Pinselstrich zu perfektionieren. Beim diesjährigen Filmfestival von Cannes wurde Spall mit dem Darstellerpreis belohnt. Dieses großartige Personen- und Epochen-Gemälde, dieses eindrucks- und kunstvolle Tableau, das immer wieder Turner in den eigenen, wundervollen Bildern zitiert, ist ein absolutes Kino-Kunstwerk und ein Muss für jeden Kunstliebhaber.

28.10.14

5 Zimmer Küche Sarg

Neuseeland 2014 („What we do in the shadows") Regie: Jemaine Clement, Taika Waititi mit Taika Waititi, Jemaine Clement, Jonathan Brugh, Ben Fransham, Cori Gonzalez-Macuer, Jackie van Beek 82 Min. FSK: ab 12

Alte Vampire haben schon alles gesehen ... und wir haben so ziemlich alles mit Vampiren gesehen. Allerdings gelingt den neuseeländischen Komikern Taika Waititi und Jemaine Clement mit „5 Zimmer Küche Sarg" („What we do in the shadows"), dass man sich totlacht, bevor die niedlich dämlichen Beißerchen einer Vampir-WG zuschnappen können.

In der neuseeländischen Hauptstadt Wellington hausen vier Vampire mit den noch älteren WG-Diskussionen zusammen: Nazi-Vampir Deacon (Jonathan Brugh) hat seit 5 Jahren das blutverschmierte Geschirr nicht mehr abgewaschen. Und auch sonst steht es angesichts blutverklebter Sofas nicht gut um die Reinlichkeit, dabei können die doch so hervorragend fliegend staubsaugen.

Da ist der naive Dandy Viago (Taika Waititi), ein Weichei mit deftigem Ösi-Dialekt in der deutschen Synchro. Der 8000 Jahre alte Petyr (Ben Fransham), ein echter Nosferatu, den schon lange gar nichts mehr interessiert. Und Vladislav (Jemaine Clement), der sadistische Folterer und einst mächtige Vampir, der immer noch unter der Pfählung durch seine Ex leidet. Alle leiden darunter vor dem Ausgehen so ganz ohne Spiegelbilder Probleme mit dem Anziehen zu haben. Was der üblichen Mode-Show-Montage mit Balkan-Beats und dem Motto „Tot aber unwiderstehlich" nichts von seiner umwerfenden Wirkung nimmt.

Wie „Only Lovers left alive" konfrontiert die Handlung alte Vampire mit dem modernen Leben ihrer frisch Gebissenen. Doch im Gegensatz zu Jarmuschs Meisterwerk, in dem alles von ernsthafter Schönheit durchtränkt ist, kommt diese neuseeländische Vampir-Parodie nur komisch daher. „5 Zimmer Küche Sarg" ist eine sympathisch unaufwändige Produktion mit herrlich schaurigen Ideen und Scherzen. Hier zeigt sich wieder, dass ein paar Gramm Gehirn, ins Drehbuch investiert, mehr bringt als zig Millionen für Pyrotechnik. Wenn die Gesichter der Vierer-WG in Goyas Radierungen und anderen alten Bildern, Fotos oder Filmen montiert über die Leinwand flackern, ist jeder Schuss ein Lacher. Selbst ein romantischer Abend, der zum Blutbad wird, weil Viago aus Versehen die Halsschlagader trifft, gerät hinreißend komisch.

Nur die Idee, alles im Stile von Reality-TV und „Blair Witch Project" zu inszenieren, bringt keine zusätzlichen Treffer. Diese Masche läuft sich tot, der Film-Spaß endet hingegen wieder sehr sympathisch mit einer WG-Utopie im Stile von „Zusammen". Wozu „Twilight" stundenlang klebriges Drama braucht, klappt hier mit ein paar Flaschen Bier: Die kaum versteckt homoerotisch angehauchte Verbrüderung von Vampiren und Werwölfen. Von dieser neuen, gemischten WG will man endlich mal eine Fortsetzung sehen. Oder ein Vampir-Remake des Willy Fritsch-Klassikers „Ich bei Tag und du bei Nacht", falls Jemaine Clement und Taika Waititi nun Blut geleckt haben.

5 Zimmer Küche Sarg

Neuseeland 2014 („What we do in the shadows") Regie: Jemaine Clement, Taika Waititi mit Taika Waititi, Jemaine Clement, Jonathan Brugh, Ben Fransham, Cori Gonzalez-Macuer, Jackie van Beek 82 Min. FSK: ab 12

Alte Vampire haben schon alles gesehen ... und wir haben so ziemlich alles mit Vampiren gesehen. Allerdings gelingt den neuseeländischen Komikern Taika Waititi und Jemaine Clement mit „5 Zimmer Küche Sarg" („What we do in the shadows"), dass man sich totlacht, bevor die niedlich dämlichen Beißerchen einer Vampir-WG zuschnappen können.

In der neuseeländischen Hauptstadt Wellington hausen vier Vampire mit den noch älteren WG-Diskussionen zusammen: Nazi-Vampir Deacon (Jonathan Brugh) hat seit 5 Jahren das blutverschmierte Geschirr nicht mehr abgewaschen. Und auch sonst steht es angesichts blutverklebter Sofas nicht gut um die Reinlichkeit, dabei können die doch so hervorragend fliegend staubsaugen.

Da ist der naive Dandy Viago (Taika Waititi), ein Weichei mit deftigem Ösi-Dialekt in der deutschen Synchro. Der 8000 Jahre alte Petyr (Ben Fransham), ein echter Nosferatu, den schon lange gar nichts mehr interessiert. Und Vladislav (Jemaine Clement), der sadistische Folterer und einst mächtige Vampir, der immer noch unter der Pfählung durch seine Ex leidet. Alle leiden darunter vor dem Ausgehen so ganz ohne Spiegelbilder Probleme mit dem Anziehen zu haben. Was der üblichen Mode-Show-Montage mit Balkan-Beats und dem Motto „Tot aber unwiderstehlich" nichts von seiner umwerfenden Wirkung nimmt.

Wie „Only Lovers left alive" konfrontiert die Handlung alte Vampire mit dem modernem Leben ihrer frisch gebissenen. Doch im Gegensatz zu Jarmuschs Meisterwerk, in dem alles von ernsthafter Schönheit durchtränkt ist, kommt diese neuseeländische Vampir-Parodie nur komisch daher. „5 Zimmer Küche Sarg" ist eine sympathisch unaufwändige Produktion mit herrlich schaurig Ideen und Scherzen. Hier zeigt sich wieder, dass ein paar Gramm Gehirn, ins Drehbuch investiert, mehr bringt als zig Millionen für Pyrotechnik. Wenn die Gesichter der Vierer-WG in Goyas Radierungen und anderen alten Bildern, Fotos oder Filmen montiert über die Leinwand flackern, ist jeder Schuss ein Lacher. Selbst ein romantischer Abend, der zum Blutbad wird, weil Viago aus Versehen die Halsschlagader trifft, gerät hinreißend komisch.

Nur die Idee, alles im Stile von Reality-TV und „Blair Witch Project" zu inszenieren, bringt keine zusätzlichen Treffer. Diese Masche läuft sich tot, der Film-Spaß endet hingegen wieder sehr sympathisch mit einer WG-Utopie im Stile von „Zusammen". Wozu „Twilight" stundenlang klebriges Drama braucht, klappt hier mit ein paar Flaschen Bier: Die kaum versteckt homoerotisch angehauchte Verbrüderung von Vampiren und Werwölfen. Von dieser neuen, gemischten WG will man endlich mal eine Fortsetzung sehen. Oder ein Vampir-Remake des Willy Fritsch-Klassikers „Ich bei Tag und du bei Nacht", falls Jemaine Clement und Taika Waititi nun Blut geleckt haben.

27.10.14

Pride (2014)

Großbritannien 2014 Regie: Matthew Warchus mit Bill Nighy, Andrew Scott, Dominic West, Joseph Gilgun, Paddy Considine, Imelda Staunton, Ben Schnetzer 120 Min. FSK: ab 6

Mit „Pride", also sehr stolz, zeigt diese begeisternde britische Sozial-Komödie eine unwahrscheinliche Verbrüderung zwischen streikenden Minenarbeitern in Wales und den von der gleichen Polizei niedergeknüppelten Schwulen und Lesben in London. Genauso wunderbar, solidarisch und komisch wie „Ganz oder Gar nicht", „Billy Elliot" oder „Brassed Off" ist „Pride" in seinem Themenreichtum sogar noch einen Tick gelungener.

Wer war eigentlich brutaler? Die Eiserne Lady Thatcher beim Zerschlagen des sozialen Systems oder ihre Polizei beim Verprügeln verzweifelter Arbeiter? Während 1984 die Minenarbeiter in fast ein Jahr lang streiken, kämpfen und hungern, erlebt in London der junge Joe (George MacKay) sein Coming Out als Schwuler aus bürgerlich und britisch verklemmten Hause. Obwohl er nur verhuscht am Rande einer Demo mitläuft und sich noch längst nicht richtig raus traut, kommt er schnell mit einer bunten und mitreißenden Truppe zusammen, die in einem kleinen Buchladen für die Rechte Homosexueller kämpft. Deren exzentrischer und lauter Anführer Mark (Ben Schnetzer) hat die clevere Marketing-Idee, für die ebenfalls unterdrückten Minenarbeiter zu sammeln. Doch „LGSM – Lesbians and Gays Support the Miners" ist erst einmal ein Flop, weil die offizielle, verknöcherte Gewerkschaft und auch sonst keiner die paar Pfund haben will. Bis eine ältere Dame im kleinen walisischen Ort Onllwyn ans Telefon geht und sich einfach freut. Nun kommt es erst mit dem Bergarbeiter-Abgesandten Dai (Paddy Considine) in London und dann mit einer ganzen Abordnung der Schwulen und Lesben in Wales zu einer höchst spannenden und amüsanten Begegnung der anderen Art. Einige der kantigen Waliser meinen, das erste Mal Schwule zu sehen. Und die zum ersten Mal einen Bergarbeiter...

Doch am Ziel einer ersten Busreise mit Priscilla-Touch ereignet sich nach anfänglichem Zögern eine erstaunliche Völkerverständigung: Die Londoner Nachhilfe in Sachen Bürgerrechte bringt ein paar der Bergbau-Jungs aus dem Knast. Eine aufgedonnerte Tunte begeistert als wilder Tänzer zuerst die Frauen und entsetzt Männer, die nie tanzen. Doch die cleveren unter ihnen buchen sofort Tanzstunden, selbst die letzten Homophoben. Es entwickelt sich einfach gezeigte, unpathetische Solidarität und spätestens bei einem walisischen Volkslied große Rührung. So richtig in Schwung kommt die Sache, als die alten Damen aus dem Dorf Londons Schwulen-Clubs unsicher machen. Doch genau in dieser Szene meldet sich bei Mark ein alter Liebhaber mit Aids.

Wie „Pride" Spaß und wütend macht, wie man mittanzen und kämpfen möchte gegen die Ausbeutung der Arbeiter, ist großartig. Ein perfekter Wohlfühlfilm, ein tolles Vergnügen. Mit der Stimmung und der Lebenslust Anfang der 80er kurz vor dem Bekanntwerden von Aids, mit Liedern von The Smith oder Frankie goes to Hollywoods „Two Tribes". Dazu haufenweise spannende Menschen mit ganz besonderen Geschichten und persönlichen Kämpfen. Ein besonderer Knaller ist Bill Nighy als grandios verklemmter Poet des Ortes. Doch gerade wo bei vielen ähnlichen Filmen für das Wohlfühlen Abstriche und Vereinfachungen gemacht werden, trumpft dieser besondere gelungene Herzensfilm noch einmal auf: Ein Coming Out, ein echter Arbeitskampf, Offenheit für Menschen in anderen Lebenswelten, Aids... All die vielen Themen und Figuren sind differenziert und wachsen einem ans Herz. Sie greifen ineinander wie die Hände auf dem Banner der Minenarbeiter von Onllwyn. Das vielleicht schönste an all diesen kleinen und großen Geschichten ist die Tatsache, dass alles zumindest so ähnlich passiert ist, wie der Abspann aufklärt. Als politische Folge dieser großartigen Solidarität wurden ein paar Jahre später die Rechte der Schwulen und Lesben in die Satzung der Labour Partei aufgenommen. Da kann man nur noch solidarisch ins Kino gehen.

Pride (2014)

Großbritannien 2014 Regie: Matthew Warchus mit Bill Nighy, Andrew Scott, Dominic West, Joseph Gilgun, Paddy Considine, Imelda Staunton, Ben Schnetzer 120 Min. FSK: ab 6

Mit „Pride", also sehr stolz, zeigt diese begeisternde britische Sozial-Komödie eine unwahrscheinliche Verbrüderung zwischen streikenden Minenarbeitern in Wales und den von der gleichen Polizei niedergeknüppelten Schwulen und Lesben in London. Genauso wunderbar, solidarisch und komisch wie „Ganz oder Gar nicht", „Billy Elliot" oder „Brassed Off" ist „Pride" in seinem Themenreichtum sogar noch einen Tick gelungener.

Wer war eigentlich brutaler? Die Eiserne Lady Thatcher beim Zerschlagen des sozialen Systems oder ihre Polizei beim Verprügeln verzweifelter Arbeiter? Während 1984 die Minenarbeiter in fast ein Jahr lang streiken, kämpfen und hungern, erlebt in London der junge Joe (George MacKay) sein Coming Out als Schwuler aus bürgerlich und britisch verklemmten Hause. Obwohl er nur verhuscht am Rande einer Demo mitläuft und sich noch längst nicht richtig raus traut, kommt er schnell mit einer bunten und mitreißenden Truppe zusammen, die in einem kleinen Buchladen für die Rechte Homosexueller kämpft. Deren exzentrischer und lauter Anführer Mark (Ben Schnetzer) hat die clevere Marketing-Idee, für die ebenfalls unterdrückten Minenarbeiter zu sammeln. Doch „LGSM – Lesbians and Gays Support the Miners" ist erst einmal ein Flop, weil die offizielle, verknöcherte Gewerkschaft und auch sonst keiner die paar Pfund haben will. Bis eine ältere Dame im kleinen walisischen Ort Onllwyn ans Telefon geht und sich einfach freut. Nun kommt es erst mit dem Bergarbeiter-Abgesandten Dai (Paddy Considine) in London und dann mit einer ganzen Abordnung der Schwulen und Lesben in Wales zu einer höchst spannenden und amüsanten Begegnung der anderen Art. Einige der kantigen Waliser meinen, das erste Mal Schwule zu sehen. Und die zum ersten Mal einen Bergarbeiter...

Doch am Ziel einer ersten Busreise mit Priscilla-Touch ereignet sich nach anfänglichem Zögern eine erstaunliche Völkerverständigung: Die Londoner Nachhilfe in Sachen Bürgerrechte bringt ein paar der Bergbau-Jungs aus dem Knast. Eine aufgedonnerte Tunte begeistert als wilder Tänzer zuerst die Frauen und entsetzt Männer, die nie tanzen. Doch die cleveren unter ihnen buchen sofort Tanzstunden, selbst die letzten Homophoben. Es entwickelt sich einfach gezeigte, unpathetische Solidarität und spätestens bei einem walisischen Volkslied große Rührung. So richtig in Schwung kommt die Sache, als die alten Damen aus dem Dorf Londons Schwulen-Clubs unsicher machen. Doch genau in dieser Szene meldet sich bei Mark ein alter Liebhaber mit Aids.

Wie „Pride" Spaß und wütend macht, wie man mittanzen und kämpfen möchte gegen die Ausbeutung der Arbeiter, ist großartig. Ein perfekter Wohlfühlfilm, ein tolles Vergnügen. Mit der Stimmung und der Lebenslust Anfang der 80er kurz vor dem Bekanntwerden von Aids, mit Liedern von The Smith oder Frankie goes to Hollywoods „Two Tribes". Dazu haufenweise spannende Menschen mit ganz besonderen Geschichten und persönlichen Kämpfen. Ein besonderer Knaller ist Bill Nighy als grandios verklemmter Poet des Ortes. Doch gerade wo bei vielen ähnlichen Filmen für das Wohlfühlen Abstriche und Vereinfachungen gemacht werden, trumpft dieser besondere gelungene Herzensfilm noch einmal auf: Ein Coming Out, ein echter Arbeitskampf, Offenheit für Menschen in anderen Lebenswelten, Aids... All die vielen Themen und Figuren sind differenziert und wachsen einem ans Herz. Sie greifen ineinander wie die Hände auf dem Banner der Minenarbeiter von Onllwyn. Das vielleicht schönste an all diesen kleinen und großen Geschichten ist die Tatsache, das alles zumindest so ähnlich passiert ist, wie der Abspann aufklärt. Als politische Folge dieser großartigen Solidarität wurden ein paar Jahre später die Rechte der Schwulen und Lesben in die Satzung der Labour Partei aufgenommen. Da kann man nur noch solidarisch ins Kino gehen.

Pioneer

Norwegen, BRD, Schweden, Frankreich, Finnland 2013 Regie: Erik Skjoldbjaerg mit Aksel Hennie, Stephanie Sigman, Dahl Torp, Jørgen Langhelle, André Eriksen, Wes Bentley, Stephen Lang 107 Min. FSK: ab 12

Norwegen ist mit seinen Öl-Funden eines der reichsten Länder der Welt geworden. Aber liegen am Grunde dieses Reichtums vielleicht Leichen vergraben? „Pioneer", diese sensationelle spannende und ästhetisch faszinierende Film-Überraschung aus Norwegen mit der luftigen Musik von „Air", entstand nach einer wahren Geschichte, bei der die echten Tauch-Pioniere zwar ihr Gerichtsverfahren um Schadensersatz gegen den norwegischen Staat verloren, aber 2011 vor den europäischen Gerichtshof in Straßburg zogen. Ein endgültiges Urteil steht noch aus.

Anfang der 1970er-Jahre versucht Norwegen seine riesigen Ölvorräte in der Nordsee zu erschließen. Doch dazu müssen Taucher in bisher nicht praktikablen Tiefen Pipelines zusammenschweißen. Petter (Aksel Hennie) und sein Bruder Knut (André Eriksen) gehören zu den Pionieren, die norwegische Politiker und Industrielle gerne als erste hunderte Meter unter dem Meeresspiegel sehen wollen. In Druckkammer-Tests haben sie zwar schon mal Halluzinationen, doch sie bekommen den Vorzug vor den Amerikanern, die auch im Team sind und das Projekt technisch leiten. Aber der erste richtige Tauchgang endet katastrophal, Knut stirbt. In der zweiwöchigen Dekompression danach baut sich noch ein ganz anderer Druck in der Kammer aus. Petter, ein jähzorniger, sturer Kerl will die Schuldfrage klären, weiß aber selbst nicht, was eigentlich geschehen ist. Während er mehr und mehr Blackouts hat, entwickelt sich die Suche nach den Ursachen immer mehr zum Psycho- und Polit-Thriller. Jorgen, der Dritte im Team, bekommt epileptische Anfälle und verschwindet nach Spanien. In Petters Boot wird eingebrochen und ein amerikanischer Kollege rammt sein Auto. Wird der dickköpfige Einzelgänger völlig wahnsinnig oder ist er einer großen Verschwörung und der Geschichte einer schmutzigen Industrie-Spionage auf der Spur?

„Pioneer" erzählt von Spionage, Betrug und Verbrechen am Grunde der ersten Tiefseebohrungen Norwegens. Mit einer ganz eigenen Ästhetik steht der Thriller in der Tradition us-amerikanischer Aufdeckungs-Krimis. Man kann sich dabei auch nüchtern überlegen, ob man vielleicht tatsächlich über Leichen gehen muss, wenn man keine Öl-Kolonie der USA werden will. Doch vor allem baut „Pioneer" mit Hochdruck und mit klaustrophobischen Tauchaufnahmen brillant Hochspannung auf. Packend sind auch die spannenden Auflösung und Perspektiven des Films, seine sehr eindrucksvolle Ästhetik unter und über Wasser (Kamera: Jallo Faber). In seinen dunklen Stimmungen erinnert er immer mal wieder an das isländisch-norwegische Meisterwerk „The Deep" von Baltasar Kormákur, in dem ein Fischer stundenlang im eiskalten Meer umhertreibt. Diesmal vermischt sich das Poetische im Wasserspiel der Lichtbrechungen mit knallharten politischen Fakten zu einem immer wieder poetischen Polit-Thriller. Viel Tiefgang - in jeder Art - hat auch „Pioneer" bis zum Hochdruck-Finale als Kammerspiel, mit ganz eigener, neuer Bedeutung des Wortes.

Sex on the Beach 2

Großbritannien 2014 (The Inbetweeners 2) Regie: Damon Beesley, Iain Morris mit Simon Bird, James Buckley, Blake Harrison, Joe Thomas 97 Min. FSK: ab 12

Unbeschreiblich eigentlich dieser vor allem unflätige Teenie-Humor „Sex on the Beach 2" für kleine Jungs, die vom Sex träumen, aber es scheinbar auch ganz toll finden, sich den Durchfall des Freundes ins Gesicht zu schleudern. Die vier Vollidioten des Films verhalten sich dementsprechend wie Zehnjährige in unglücklichen, weil unbefriedigten Körpern von Zwanzigjährigen. Dass die britischen Hanswurste Will McKenzie (Simon Bird), Neil Sutherland (Blake Harrison) und Simon Cooper (Joe Thomas) bei ihrem „Freund" Jay Cartwright (James Buckley) in Australien landen, lässt sie nur noch blöder aussehen. Jay schwärmte per Postkarte vom DJ-Job im Top-Club und von willigen Mädels in seinem Luxus-Loft. Tatsächlich arbeitet er auf dem Club-Klo und zeltet im Vorgarten des groben Onkels, der den Jammerlappen Jay konstant verarscht. Die vier Idioten sind in Paradies der Coolen hinter irgendwelchen Mädels her, aber entscheidend in der Abfolge von ziemlich unglaublichen Peinlichkeiten ist die Menge an Fäkalien, ist dass Verdursten im Outback nur ein Grund ist, sich gegenseitig in den Mund zu pinkeln und so weiter. Das Variieren besonders blöder, aber keineswegs komischer Gesichter wird schauspielerisch gerade so gemeistert.

Besonders schockierend allerdings, wie viel Geld offensichtlich für diesen Mist aufgewandt wurde, nachdem der erste Film „Sex on the Beach" auf Basis einer britische Sitcom überraschend ein Erfolg wurde. Scheinbar gehören solche Filme entwicklungsgeschichtlich in die Kinobiografie jedes jungen Pickelausbrüters und sind deshalb ein lukratives Marktsegment. Doch war der zugegeben ebenso dämliche „Eis am Stil" Ende der Siebziger aus so schlimm? Kann „mann" sich seiner Sexualität nur über Zotiges und anale Ausscheidungen nähern? Obwohl - das ist das besonders Perfide an diesem verklemmten Filmchen - „Sex on the Beach 2" letztlich ja so überhaupt nichts mit Sexualität zu tun hat und somit das Versprechen nach Kauf der Kinokarte nicht einlöst.

26.10.14

Zwei Tage, eine Nacht

Belgien, Frankreich, Italien 2014 (Deux jours, une nuit) Regie: Jean-Pierre Dardenne, Luc Dardenne mit Marion Cotillard, Fabrizio Rongione, Pili Groyne, Simon Caudry 95 Min. FSK: ab 6

Im Stile eines neuen Neo-Realismus folgt „Zwei Tage, eine Nacht" der Arbeiterin Sandra (Marion Cotillard), die von ihrer Entlassung bei einem Solarpanel-Unternehmen erfährt: Die Kollegen hatten die Wahl zwischen einem Bonus von 1000 Euro und dem Erhalt der Stelle von Sandra. Dank einer engagierten Kollegin soll die Wahl am Montag jedoch wiederholt werden. Diesmal geheim. Sandra, die Frau, die sich gerade von einer schweren Depression erholt hat, die mit zwei Kindern und dem Mann Luc endlich nicht mehr in einer Sozialwohnung lebt, hat zwei Tage und eine Nacht Zeit, die Mehrheit der 16 Kollegen zu bitten, für ihren Verbleib im Unternehmen zu stimmen.

Die Odyssee durch Vororte von Lüttich dekliniert in immer wieder bewegenden Begegnungen, was Solidarität heutzutage wert ist. Ein Paar mit viel Zeit und Freizeit will mit dem Bonus eine Terrasse vor ihrem neuen Haus hoch über der Maas bauen. Im Gegensatz zu dieser nüchternen Demonstration von Überfluss, die später demontiert wird, bricht ein Jugend-Trainer beim Fußball direkt in Tränen aus, so sehr drückte ihn das schlechte Gewissen. Einige haben einen zweiten Job, um über die Runden zu kommen, andere einen flotten Sportwagen, der viel verbraucht. Am erstaunlichsten ist jedoch die Haltung Sandras, die immer mehr Pillen gegen ihre Panik und Heulanfälle schlucken muss: Ohne Wut, freundlich und demütig tritt sie auf die Kollegen zu, die ihr Schicksal in der Hand haben. Sandra bittet mit einer Demut, die an religiöse „Superhelden" erinnert - da wird nicht getrickst und manipuliert.

Genau so ehrlich und gradlinig wie die Dardennes ihre Filme in den Vierteln der wallonischen Krisenstadt Lüttich drehen, die sie seit Jahren kennen. Mit den Menschen, die dort leben. (Und mit mittlerweile berühmten Schauspieler aus früheren Filmen wie Olivier Gourmet als Vorarbeiter und Jérémie Renier als Boss.) Die für ihre zwei Goldene Palmen („Rosetta", „Das Kind") gefeierten Filmemacher vermeiden mit ihrem ehrlichen, authentischen Stil jede Grobheit, jede dramaturgische Falle, die mit Effektivität lockt, aber Glaubwürdigkeit reduzierte. Selbst der Star, Oscar-Preisträgerin Marion Cotillard („Der Geschmack von Rost und Knochen", „La vie en rose"), den sie sich leisten, verkörpert mit ihrer berührenden Rolle das Herz vom filmischen Schaffen der Dardennes. Ihre Sandra ist vom ersten Augenblick frei von allem Star-Image. Schon im Schlaf zeigen die dunklen Augen einen Menschen, der fix und fertig ist. Noch bevor sie von der Entlassung erfährt. Doch das kluge Meisterwerk schafft es, seinen Figuren Würde, Anstand und Stolz zu geben, ohne zum Filmmärchen abzurutschen. Zwar gab es in Cannes 2014 nicht die dritte Goldene Palme für diese ergreifende Suche nach Solidaritäts, doch mit den „working class heroes" des Films können sie sagen: „Wir haben gut gekämpft!"

Das Salz der Erde (2014)

Frankreich, Italien, Brasilien 2014 (The Salt of the Earth) Regie: Wim Wenders, Juliano Ribeiro Salgado 110 Min.

Der aus Brasilien stammende, 70-jährige Fotograf Sebastião Salgado hat in den vergangenen Jahrzehnten auf allen Kontinenten im Geiste der sozialdokumentarischen Fotografie Vertreibung, Krieg, Hunger und Leid festgehalten. In großartigen Fotos und Bänden wie „Workers – Arbeiter. Zur Archäologie des Industriezeitalters", „Migranten" oder „Afrika". Als er an dem Gesehenen seelisch erkrankte, suchte er bewusst für seinen letzten Band „Genesis" das Schöne dieser Erde auf.

Durch die Hölle ins Paradies führt auch „Das Salz der Erde", die Lebensgeschichte dieses berühmten Fotografen. Sein Sohn Juliano Ribeiro Salgado begleitete ihn mit der Filmkamera rund um die Welt bei der Erstellung einiger seiner eindrucksvollen Bildbände. Später kam Wim Wenders als Ko-Regisseur hinzu und es entstand ein berauschender und bewegender Film: Wie der brasilianische Bildkünstler in seinen Fotografien die Flüchtlingsströme von Ruanda, der Verhungernden der Sahel-Zone oder die zigtausenden Arbeiter in einer brasilianischen Goldmine wiedergibt, ist atemberaubend, tief berührend und erschütternd. Große Fotokunst. „Das Salz der Erde" besteht über lange Strecken aus Schwarzweiß-Fotos, deren Entstehen Sebastião Salgado in Gesprächen mit - einem zu deutlich in Bild und Ton anwesenden - Wim Wenders selbst kommentiert. Sebastião Salgado fügt so den an sich schon enorm aussagekräftigen Fotos die Geschichte hinter dem Bild hinzu. Und er kann erzählen! Seine sanfte Stimme scheint noch mit allen durchlebten Erschütterungen zu schwingen.

So kämpft man angesichts von Unmenschlichkeiten, die nicht auf Naturkatastrophen sondern nur auf ungerechte Verteilung zurückzuführen sind, angesichts des Ausmaßes von Massakern denen Hunderttausende zum Opfer fielen, immer wieder mit den Tränen. Bis zum paradiesischen Ende, denn „Das Salz der Erde" ist auch die wundersame Wendung im Leben des Fotografen, den krank machte, was er sah und festhielt: Auf der Farm seiner Familie in Brasilien begannt er mit seiner Frau riesige Flächen vernichteten Regenwaldes mit Millionen von handgepflanzten Setzlingen wieder aufzuforsten. In Reflektion zu seinem letzten Bildband „Genesis", der unversehrte Schönheit der Erde zeigt, ein kleines Paradies. Wir erleben die „Freundschaft" Salgados mit Gorillas und einem Wal.

Salgado wurde 1944 in Aimorés, im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais, geboren. In São Paulo studierte er Wirtschaftswissenschaft und lernte seine Frau, die Pianistin Lélia Deluiz Wanick kennen. Wegen der Militärdiktatur floh das sozial engagierte Paar 1969 nach Paris. In den 70ern begann er zu fotografieren und wurde nach einigen Reportagereisen 1979 in die angesehene Agentur Magnum Photos aufgenommen. Er war 1981 zufällig beim Attentat auf den US-Präsidenten Ronald Reagan anwesend, die Fotos davon finanzierten weitere Projekte. Salgado reiste jahrelang durch die Welt, seine Frau und die beiden Kinder blieben in Paris. Sie hat dabei alle Fotobände mit gestaltet und herausgegeben. Der Film zeigt das Paar am Ende wieder in Brasilien, auf der mit Regenwald rekultivierten Fazenda, der Rinderfarm des Vaters.

Der Regisseur und Fotograf Wenders outet sich in und mit „Das Salz der Erde" als großer Verehrer von Salgado. Und auch wenn der Düsseldorfer als Erzähler und als Person selbst etwas zu präsent im Film ist, führt das eigene Wissen ums die Kunst der Fotografie zu einigen reizvollen Pointen in der Gesamt-Wucht dieses ganz großen Films. So ist die filmische Biografie ist nach der sensationellen 3D-Tanzdoku „Pina" wieder so ein Monolith von Wim Wenders in der Dokumentations-Landschaft.

21.10.14

Denk wie ein Mann 2

USA 2014 (Think like a Man too) Regie: Tim Story mit Michael Ealy, Jerry Ferrara, Meagan Good, Regina Hall 106 Min. FSK: ab 12

Wenn aus einem Sex-Ratgeber, Steve Harveys Buch „Act Like a Lady, Think Like a Man", eine derart lahme Hochzeits-Komödie werden kann, wirft das ein schlechtes Licht auf den Ratgeber. Der Flachwitz mit typisch us-amerikanisch dauer-gebremster Anzüglichkeit geht sogar in die zweite unnötige Runde. Diesmal treffen sich alle Paare des ersten Komödien-Trauerspiels anlässlich einer Hochzeitsfeier in Las Vegas wieder. Die Junggesellen- und Braut-Abschiede werden selbstverständlich entgleisen, dazu kommt die Hälfte der Truppe ja auch sexuell frustriert an. Als inhaltliches Feigenblatt zu dem üblichen Schwachsinn gibt es ein paar Beziehungsprobleme. Zwar ist das alles nicht komisch, wird aber unerträglich durch die andauernden Kommentare von Kevin Hart in der Rolle des Pausenclowns Cedric. Der verrechnet sich etwas beim Preis seiner Suite und muss statt 4.000 nun 40.000 pro Nacht blechen. Die Differenz ist selbstverständlich nicht im Casino zu verdienen, deshalb tanzen die Jungs leichtbekleidet als YMCA-Verschnitt in einem Strip-Club.

Zoten, Schwiegermutter-Scherze, aufgesetzter, geschmackloser Luxus, Besäufnisse, Stripshow, Dialoge noch flacher als die Witze. Mehr Positives ist nicht zu sagen, um diese filmische Platzverschwendung anzupreisen.

Die Boxtrolls

USA 2014 Regie: Graham Annable, Anthony Stacchi 97 Min. FSK: ab 6

Sie sind liebenswerte, tollpatschige Kerlchen, diese Boxtrolls. Kleine Erfinder und Bastler, die in einer traumhaft mechanisierten Stadt unter der Erde hausen. Sie leben von Käfern und Würmern, haben ein Faible für Musik, am besten mechanisch vorgetragen. Auch um ein Menschenkind kümmern sie sich liebevoll, stecken es in eine der Papp-Boxen die sie alle tragen, denn niemand läuft bei ihnen nackt herum. Obwohl sie nächtens in der Menschen-Stadt nur Altmetall aus den Abfällen klauben, stellt ihnen dort ein finsterer Jäger nach und dezimiert den kantig kuscheligen Schlafstapel der Boxtrolle merklich.

Denn die Menschen in dem historischen Städtchen Cheesebridge vermuten ganz schreckliche Monster hinter den nächtlichen Besuchern, die an ihr Wertvollstes wollen: An ihren Käse. Deshalb jagt Archibald Snatcher im Auftrag des Bürgermeisters die Boxtrolle. Als Fisch von Snatcher und seinen Gesellen weggeschnappt wird, sucht der als Mensch verkleidete Boxtroll-Zögling Eggs, der eigentlich als Boxtroll verkleideter Mensch ist, seinen Pflege-Vater. Ganz wider die vermeintliche Natur der Kisten-Kerlchen, die sich immer nur verstecken und weglaufen. In seinem Abenteuer, das Unten und Oben sowie Gut und Böse durcheinander wirbeln wird, bekommt Eggs Unterstützung von Winnie, der Tochter des besonders gierigen Stadt-Oberen Lord Portley-Rind. Die kleine, herrische, aber vor allem neugierige Prinzessin hat besonders makabre Fantasien und das Herz am rechten Fleck.

Es ist ein herrliches Vergnügen, diesen fein ge- und verzeichneten Figuren in dem fantastisch alten Städtchen zuzuschauen. Nach der Neil-Gaiman-Adaption „Coraline" und dem Zombie-Außenseiterfilm „ParaNorman" zaubern die Regisseure Graham Annable und Anthony Stacchi nun mit einer Mischung aus Puppentrick, CGI und Zeichentrick, mit etwas Retro-Punk und vor allem etwas Dunklem im Stile von Tim Burton.

Dabei wirken die Boxtrolls wie gräuliche Verwandte der Minions aus „Ich einfach unverbesserlich". Archibald Snatcher sieht aus wie ein besonders hässlicher Timothy Spall, wird aber im Original gesprochen von Ben Kingsley. „Boxtrolls", sehr frei nach dem Roman „Here Be Monsters!" von Alan Snow, traut sich und den Kindern mehr zu als all der niedliche Animations- und Kinderfilmkram, der den Kleinen üblicherweise vorgesetzt wird. Sie lernen eine Menge über die Propaganda, die angewandt wird, um Außenseiter auszugrenzen, und haben vor allem viel anarchischen Spaß.

Am Sonntag bist du tot

Irland 2014 (Calvary) Regie: John Michael McDonagh mit Brendan Gleeson, Chris O'Dowd, Kelly Reilly, Aidan Gillen, Dylan Moran, Isaach de Bankolé, M. Emmet Walsh 105 Min. FSK: ab 16

„Ich habe mit sieben das erste Mal Samen geschmeckt. Ich wurde von einem Priester fünf Jahre lang vergewaltigt." Was für eine Eröffnung im doppelten Sinne erleben der Film und der Priester James Lavelle (Brendan Gleeson) im Beichtstuhl. Doch die erste Szene vom berührenden, schockierenden und unglaublich menschlichen „Am Sonntag bist du tot", die nur den irischen Priester Lavelle zeigt, ist erst der Auftakt. Denn die Chronik eines angekündigten Mordes beginnt mit erstaunlicher Logik. Der Unbekannte im Beichtstuhl will sich am Unschuldigen rächen: „Einen guten Priester töten, das wäre ein Schock, ich werde dich töten, weil du unschuldig bist. Du hast Zeit bis Sonntag, deine Sachen zu regeln."

Von nun an verrinnen die anscheinend letzten sieben Tage für Father Lavelle erstaunlich ruhig. Er macht keine Anstalten, den zukünftigen Mörder, den er meint erkannt zu haben, umzustimmen oder anzuzeigen. Der sichtlich in seinem stattlichen Körper ruhende Priester besucht die Menschen seiner Gemeinde und wird von seiner Tochter Fiona (Kelly Reilly) besucht, die gerade versucht hatte, sich umzubringen. Dabei zeigt sich in dieser letzten Woche eine erschreckend hässliche und zynische Menschheit vor den malerischen Kulissen irischer Landschaft. Jemand verprügelte seine untreue Frau, ein sehr wortgewandt unflätiger Pathologe ist vor allem an der frischen Witwe eines gerade eingelieferten Unfallopfers interessiert. Ein extrovertierter und hipp ordinärer schwuler Stricher preist seinen Sex mit Bischöfen. Ein neureiches Börsen-Ekel übertrifft allen anderen sogar noch. Der alte Schriftsteller, dessen ruppige Fassade schnell aufbricht, will eine Pistole für sein Lebensende.

Father Lavelle ein offener, kluger und vorurteilsfreier Mann mit großer Menschenkenntnis erduldet all diese widerlichen, filmisch schillernd dargestellten Auswüchse der Menschheit mit großer Geduld und tiefem Glauben. Er bleibt regungslos hinter dem dichten Vollbart, doch seine wachen Augen erzählen viel. Selbst als seine Kirche abgefackelt wird, verliert er nicht die Fassung. Erst als man seinem Hund Bruno die Kehle durchschneidet.

„Am Sonntag bist du tot", dessen Originaltitel Calvary auf den Kalvarienberg der Kreuzigung Jesu verweist, fängt mit der schockenden Erkenntnis an, mit der die kroatische Schein-Komödie „Gott verhüte" einen zurückließ: Das allgemeines Bewusstsein der sexuellen Übergriffe von Priestern in unfassbarem Ausmaße, hier speziell in der irischen Kirche. Doch das Erstaunliche an dem zutiefst eindrucksvollen - nach „The Guard – Ein Ire sieht schwarz" - zweiten Film von Regisseur und Autor John Michael McDonagh, ist dass er das halt Unfassbare gar nicht erst versucht, explizit zu zeigen, und es nur kurz und äußerst prägnant erwähnt. Trotzdem ist der ganze Film mit fast jeder seiner zynischen oder leidenden Figuren ein Aufschrei, ein Flehen um Freundlichkeit, Mitgefühl und letztlich um - das für Lavelle entscheidende - Vergebung.

Ein langer Abschied und die im besten Sinne moralische Bestandsaufnahme einer Gemeinde, die für das ganze Land oder die ganze westliche Gesellschaft steht. All die eindringlichen Begegnungen Lavelles mit seinen klugen Überlegungen sind eingebettet in erlesenste Einstellungen und Bildkompositionen. Jeder der Nebendarsteller könnte locker eine Hauptrolle tragen. Ein Werk, noch gewaltiger als sein Hauptdarsteller Brendan Gleeson, der im vollen Ernst einen seiner eindrucksvollsten Filme auf die Leinwand bringt.

Hin und weg

BRD 2014 Regie: Christian Zübert mit Florian David Fitz, Julia Koschitz, Jürgen Vogel, Miriam Stein, Volker Bruch, Victoria Mayer, Johannes Allmayer, Hannelore Elsner 95 Min.

Die alljährliche Fahrradtour von sechs Freunden soll sie diesmal ins belgische Seebad Ostende führen. Was die Freunde nicht wissen, Hannes wählte das Ziel, weil er todkrank ist und dort sein Leben beenden will. „Hin und Weg", der mit Leichtigkeit daherkommende Film von Regisseur Christian Zübert („Lammbock", „Dreiviertelmond"), setzt nicht auf Rührung und problematisiert auch nicht zentral die Sterbehilfe, sondern feiert den Wert der Freundschaft. Bei seiner Weltpremiere in Locarno rührte der Film Tausende auf der vollbesetzten Piazza Grande.

Jedes Jahr machen sechs Freunde zusammen eine Fahrradtour. Dieses Jahr will Hannes (Florian David Fitz) nach Belgien. Der wahre Grund ist kein touristischer: Der 36-jährige Hannes leidet an Amyotrophe Lateralsklerose (Abkürzung: ALS), einer erblichen, für ihn unheilbaren Krankheit. Beim Vater erlebte er dessen quälendes letztes Jahr und will seinen Tod nun selbst bestimmen - in Ostende per bereits arrangierter Sterbehilfe. Denn seit kurzen geht es rapide bergab: Auf dem Hometrainer schafft er nur noch 13 Kilometer statt früher 25.

Allein Hannes' Frau Kiki (Julia Koschitz) ist eingeweiht und erst als der Zwischenstopp bei der Mutter (Hannelore Elsner) die Tränen hochkommen lässt, kommt das eigentliche Ziel heraus. Vor allem Finn (Volker Bruch), der jüngere Bruder von Hannes, der das Krankheits-Gen nicht erbte, ist entsetzt. Doch nach ersten Protesten entscheiden sich alle, den Weg nach Ostende gemeinsam zu gehen.

Zu diesen Touren gehört auch, dass jeder von einem anderen der Freunde eine geheime Aufgabe erhält, die während der Reise erfüllt werden muss. Wenn der veritable Casanova Michael (Jürgen Vogel) sich mit Perücke und Glitzer-Fummel als Frau verkleiden muss, erweitert das sein geringes Mitgefühl mit dem anderen Geschlecht. Nur schade, dass ausgerechnet die Quasselstrippe Sabine (Miriam Stein), die spontan mitfährt und an der er hängt, ihn so stehen lässt, wie er es selbst immer machte. Ein sexuell frustriertes Pärchen aus starker Frau Mareike (Victoria Mayer) und Hampelmann Dominik (Johannes Allmayer), der nur „Mausi" und Ja sagen kann, bekommt durch einen Gruppensex-Auftrag die festgefahrene Ehe durcheinander gewirbelt. Vor allem der Abschied von Kiki (Julia Koschitz) ist sehr emotional. „Du machst einen Termin in Belgien, pumpst dein Fahrrad auf und fertig."

„Hin und Weg" ist eine Tragikomödie, die Rührseligkeit und auch Redseligkeit vermeidet. Oder wie es Hannes selber sagt: „Ich will nicht quatschen, deshalb fahre ich!" Bei einem derart schwierigen Thema kann man schnell einen falschen Ton treffen. Doch Regisseur Christian Zübert vermied zu viel Pathos, genau wie schon die ostbelgische Autorin Ariane Schröder in ihrem Drehbuch. Die Abschiedstour lässt die kleinen Probleme der anderen zurücktreten, wichtiger als die Diskussion der Sterbehilfe (wie im hervorragenden „Und morgen Mittag bin ich tot") oder der um Hannes' Entscheidung wird die außergewöhnliche Freundschaft. Beim gemeinsamen Regenfrühstuck im Zelt oder wilder Schlammschlacht in Heidelandschaft ist die Gemeinschaft lebendig im Bild. Auch wie schließlich alle eng zusammengerückt in einem Auto sitzen, gibt die Gefühle in gelungener Aufnahme wider.

So gelingt „Hin und Weg" der Umgang mit einem sensiblen Thema vor allem auch als Ensemble-Film mit guten, eindringlichen Figuren. Stark zur Stimmung von Abschied und Freundschaft tragen die für den Film geschriebenen Songs von unter anderem den Beatsteaks, Passenger, Boy und Joyce Jonathan bei, die der Film als eigens für die Radtour komponiertes Mix-Tape vorstellt. Auch hier ein gelungenes Zusammenspiel für einen anrührenden aber nicht von Leid überfrachteten Film zur letzten Lebens-Etappe.

15.10.14

The Cut

BRD, Frankreich, Polen, Türkei, Kanada, Russland, Italien 2014 Regie: Fatih Akin mit Tahar Rahim, Simon Abkarian, Makram J. Khoury, Kevork Malikyan, Bartu Küçükçaglayan, Trine Dyrholm 139 Min. FSK: ab 12

Fatih Akins neuer Film, der dritte Teil seiner weit gespannten Trilogie um „Liebe, Tod und Teufel" beginnt im Grauen des türkischen Völkermordes an den Armeniern in den Jahren 1915, 1916 und läuft in einer Odyssee zu den in alle Welt verstreuten Überlebenden als starkes Road Movie aus. Dass die jahrelange Suche des armenischen Dorfschmiedes Nazaret Manoogian (Tahar Rahim, der Hauptdarsteller von „Ein Prophet") aus Mardin im untergehenden Osmanischen Reich nach seinen Zwillingstöchtern auch ein Panoptikum ganz aktueller Flucht, Verfolgung und Entwurzelung ist, zeigt die thematische Weite, die in den großen Landschaften einer verzweifelten Reise steckt.

1915 herrscht auch im Osmanischen Reich, das sich mit Deutschland und Österreich verbündet hat, Krieg. Doch das Dorf Mardin zeigt noch eine Ahnung vom friedlichen Zusammenleben aller Volksgruppen. Bis alle armenischen Männer in der Nacht abgeholt werden. Als Gefangene bauen Nazaret und seine Leidensgenossen unter brutaler Soldatenknute und brennender Sonne eine Straße durch die Steinwüste. Die Frage, wer sie benutzen wird, beantwortet sich aufs Schrecklichste, als armenische Frauen und Kinder auf Todesmärschen vorbei getrieben werden. Vom Wegesrand beobachtet Nazaret eine Vergewaltigung, andere Gräuel lassen sich erahnen. Als auch die Männer an der Reihe sind, entgeht Nazaret dem Tod, weil sein türkischer Henker ihm aus Unvermögen zu töten nur in den Hals sticht.

Fortan irrt Nazaret noch lebend aber stumm durch die Schrecken des Genozids, durch weite Landschaften, die sich in Schlüsselmomenten zu Szenen einer Hölle auf Erden verdichten. Das Flüchtlingslager Ras al-Ayn, in dem ausgemergelte Gestalten nur noch den Tod erflehen, ist nicht nur hochaktuell, sondern auch ein
großes ikonisches Kinogemälde, das sich einbrennt. Hier nähern sich Fatih Akin und sein Kameramann Rainer Klausmann im Bild dem großen türkischen Regisseur Nuri Bilge Ceylan.

Der türkische Völkermord an den Armeniern ist auch nach fast 100 Jahren noch ein Thema, für dessen Behandlung der türkisch stämmige Regisseur Fatih Akin nun um sein Leben bangen muss. Dieser von der Weltgemeinschaft hingenommene Genozid war, wie Hitler immer zitiert wird, die Vorlage für den Holocaust: „Wer redet denn heute noch von der Vernichtung der Armenier?", meinte er 1939. Die systematische Vernichtung dieser uralten christlichen Kulturgruppe fand erstmals 1933 in Franz Werfels Roman „Die vierzig Tage des Musa Dagh" ein literarisches Echo. Nachdem das Grauen mit über eine Millionen Opfer besonders in Deutschland aus Rücksicht auf die verbündete Türkei und auch wegen der wahrscheinlichen Beteiligung deutscher Militärs und Regierungen „totgeschwiegen" wurde. Filme taten sich bislang mit dem Thema schwer: Vor allem der armenisch-stämmige Kanadier Atom Egoyan, an der Namensendung -yan oder -ian als „Armenier" erkennbar, hat in unserer Zeit mit poetischen und bewegenden Filmen an den Genozid und seine traumatischen Folgen für heimatlose Armenier in aller Welt erinnert. Wobei er ausgerechnet in seinem schwächsten Film „Ararat", mit dem ebenfalls armenisch-stämmigen Charles Aznavour (Chahnour Varinag Aznavourian), daran scheiterte, die unfassbaren Gräuel direkt zu zeigen. (Der Auftritt von Arsinée Khanjian, der Ehefrau Egoyans adelt übrigens „The Cut".) Auch die Italiener Paolo und Vittorio Taviani wollten die Grausamkeiten des türkischen Völkermordes auf die Leinwand bringen. Doch „Das Haus der Lerchen" war 2007 ein gut gemeinter, aber grausam schlecht gemachter Botschaftsfilm.

Fatih Akins „The Cut" daran zu messen, hieße den Film nur nach seiner ersten Stunde zu beurteilen. Denn er geht mit seiner tragischen Hauptfigur weiter, in den Libanon, nach Kuba und in nordamerikanische Städte und Steppen. Überall findet Nazaret, der zwar den Glauben verloren hat, aber die Hoffnung nicht aufgibt, verstreute Armenier. Und überall erinnert der Film an ähnliche Schicksale und Situationen von heute: Das erwähnte Diyarbakır steht heute für die Verfolgung der Kurden. Was ein Hohn der Geschichte ist, denn damals waren unter den Tätern und Mittätern auch Kurden. Man kommt mit nationalistischen, ethnischen oder religiösen Pauschal-Urteilen und Verurteilungen halt nicht weit. Die Deportationen von Srebrenica sind auf der historischen Folie von „The Cut" ebenso zu entdecken wie die ausgebeuteten Näherinnen von Bangladesh. Denn in so einem, von Moritz Bleibtreu in kleiner Rolle geleiteten „Sweatshop" landeten Nazarets Töchter in den USA.

Dieses offene Panoptikum von Unterdrückung, Ausbeutung und Verfolgung wird begleitet vom Sound der Road Movies, mit einer Tonspur, die sich einschleift und wie bei Neil Young in kreisender Wiederholung nach vorne treibt. Dabei ist Fatih Akin näher an Theo Angelopoulos, der eine zeitlich ganz nahe Vertreibung der Griechen zu einem Epos gemacht hat, als an seinen eigenen Filmen wie „Soul Kitchen" (2009), „Auf der anderen Seite" (2007) oder „Gegen die Wand" (2004). Doch nicht nur, wenn Nazaret für einen leichten Moment auf seiner Odyssee in einem Hinterhof in Aleppo den Zauber einer ersten Filmvorführung mit Chaplin erlebt, wird die große Kinoleidenschaft dieses Filmemachers deutlich, deren Ausdruck auch „The Cut" wieder ist.

Der Richter: Recht oder Ehre

USA 2014 (The Judge) Regie: David Dobkin mit Robert Downey jr., Robert Duvall, Vera Farmiga, Vincent D'Onofrio, Billy Bob Thornton 141 Min. FSK: ab 6

Einspruch, euer Ehren! Viel zu übertriebene Argumente! Der aktuelle Film-Sherlock Holmes und „Iron Man" Robert Downey jr. produziert sich in „Der Richter" erstmals selbst, Ehefrau Susan ist Chefin der gemeinsamen Produktionsfirma Team Downey. Dadurch schlägt die gute Geschichte um Familien- und Rechtsfragen immer wieder über ästhetische und dramaturgische Stränge. Das Finale bietet so unfreiwillige Parodie und emotionalen Höhepunkt gleichzeitig.

Ja, diese Gespräche von Anwälten auf dem Männer-Klo des Gerichts kennen wir seit Al Pacino dort als Anwalt des Teufels auftrat. Hank Palmer (Robert Downey jr.), erfolgreicher und arroganter Star-Anwalt für Reiche und Schuldige, gibt am Pissoir gar den alten Wolf Nicholson, um zu zeigen, wessen Revier das hier ist. Als der Tod der geliebten Mutter Hank nach Jahrzehnten in die verhasste Kleinstadt zurückruft, ist der Empfang des Vaters (Robert Duvall), des alten lokalen Richters, wie erwartet herzlos. Doch der so strenge und über alle Maßen gerechte Senior überfährt in der Nacht nach dem Begräbnis einen Mörder, den er mehrfach verurteilte. Nun ist der raffinierte Rechtsverdreher Hank gefordert, doch der Alte will keine Freiheit, sondern Gerechtigkeit. Selbst wenn er sich nicht mehr erinnern kann, was in eigentlich geschah.

Robert Downey jr. zeigt volle Kanne, was er kann: Sein schmieriger, selbstverliebter Anwalt ist tatsächlich kein netter Typ und dann ein liebevoller Sohn für den pflegebedürftigen, nicht mehr so grimmigen Vater. All das und mehr gleichzeitig, wie auch die alte Liebe Sam verzweifelt feststellt. Doch das „mehr" und zur Sicherheit „noch mehr" des Films ist eigentlich eine Beleidigung für Downeys Können. Dazu ein Overkill an Geigen, damit der Tränenfluss auch ja in die Gänge kommt, dauernd fällt weiches Licht durch irgendwelche Fenster und die Kamera nutzt jede Gelegenheit, sich groß aufzuschwingen.

Dass das Schauspiel der doppelten Roberts - Downey jr. und Duvall - trotzdem und trotz Überlänge packt, ist vor allem dem guten, dichten Buch zu verdanken. Da gibt es als Perlen einen Homo Faber-Moment mit der Tochter der Ex, den kleinen, behinderten Bruder mit seiner Sammlung von Familienfilmen und vor allem das Finale zwischen den beiden juristischen Dickköpfen. Es fällt szenenweise schwer, nicht auf diesen Film reinzufallen. Doch überzogen ist er auch, da muss jeder Richter und Kritiker Einspruch einlegen.

14.10.14

20.000 Days On Earth

Großbritannien 2014 Regie: Iain Forsyth, Jane Pollard 98 Min. FSK: ab 6

Der australische Sänger, Musiker, Dichter und Schauspieler Nick Cave wirkt in seinen Auftritten sehr egozentrisch. Den beiden Künstlern Iain Forsyth und Jane Pollard gelang nun ein sehr egozentrischer und noch viel kunstvollerer, fiktionaler Dokumentarfilm über Nick Cave, der sogar einen ausgesprochenen Nicht-Fan begeistern kann.

Der fiktionale 20.000. Tag im Leben des 57-Jährigen beginnt schon nach dem Aufstehen mit einer Selbstbetrachtung im Spiegel. Cave ist Objekt der Betrachtung und selbst Erzähler. Man kann diesen Mann verehren oder kann es albern finden, wie der, der sich als hauptsächlicher Schriftsteller bezeichnet, im Zwei-Fingersystem auf seiner Schreibmaschine rum hämmert. Doch spätestens wenn die immer quicklebendige und reizvolle Montage sanft fließend wie eine Cave-Ballade und dann wieder rauh wie die punkigen Anfänge mit seiner Band Bad Seeds die Tasten eines Piano einflicht, wird klar: Diese dauernd mit inszenierter Wahrheit spielende Dokumentation ist etwas Besonderes.

Und etwas Humorvolles, wenn der Anruf von Caves Frau den kreativen Prozess jäh unterbricht und den Künstler zum Psychoanalytiker schickt. Die Sitzung soll die Tiefen einer Persönlichkeit ausleuchten, aber gibt es hier im Blick von mindestens drei Kameras wirkliche Offenbarung? Selbst wenn es um den frühen Tod des Vaters geht und der aufgewühlte Cave die Aufnahme unterbricht, bleibt das semidokumentarische Werk hochgradig künstlich und kunstvoll.

Ebenso wie die halben Selbst-Gespräche im Auto, wobei der traumhaft auftauchende Gegenpart immer ein „Weggefährte" Caves ist: Mal der Schauspieler Ray Winstone, mal Blixa Bargeld, dann auf dem Rücksitz Kyle Minogue, mit der Cave den Hit „Where The Wild Roses Grow" hatte. Immer wieder unterhalten sich Performer über Ängste und Energien in der Konfrontation mit dem Publikum und Cave teilt uns auch ausführlich die Grundlagen seiner Ästhetik mit.

„20.000 Days On Earth" wühlt tief - und wiederum sehr unterhaltsam aufbereitet - in einem eigenen Archiv zu Cave, das zumindest als Ort und vielleicht auch in Details eine Erfindung der Filmemacher ist. Erinnerungen an seine Berliner Zeit und die Flohmärkte damals kommen zutage, ein frühes Testament. Selbstverständlich darf die Entwicklung und das Entstehen von neuen Liedern nicht fehlen - allein hierbei ist die tolle Halb-Mockumentary ein klein wenig konventionell - was den Fans ebenso gefallen wird, wie die ausführlichen Konzertaufnahmen und die Filmmusik von Nick Cave und Warren Ellis.

13.10.14

Wie in alten Zeiten (Love Punch)

Frankreich, USA, Großbritannien 2013 (Love Punch) Regie: Joel Hopkins mit Pierce Brosnan, Emma Thompson, Timothy Spall, Celia Imrie, Louise Bourgoin, Laurent Lafitte 95 Min. FSK: ab 0

„Wie in alten Zeiten" - endlich mal ein deutscher Titel, der es exakt trifft: Der romantische Raubzug mit Pierce Brosnan und Emma Thompson ist eine Komödie wie aus alten Zeiten. Sorgfältig gemacht, exzellent gespielt und frei von allem modernen Schnickschnack. Eine sympathische Antwort auf die angebliche Vergreisung des Kinopublikums.

Was für ein schönes Paar: Richard (Pierce Brosnan) und Kate (Emma Thompson) verstehen sich vortrefflich bei dieser Hochzeit von jemand anderem. Jede kleine Spitze wird elegant zurückgefochten, andere Verehrer haben nicht die kleinste Chance. Doch Richard und Kate sind seid Jahren einvernehmlich getrennt. Er treibt sich weiterhin mit viel jüngeren Geliebten rum. Die gemeinsame, ähnlich alte Tochter lässt derweil Mama sitzen, sie beginnt das Studium in einer anderen Stadt. So könnte es getrennt weitergehen mit Richard und Kate, doch eine Woche vor seinem Ruhestand wird dem britischen Investment-Banker die Firma weggekauft und mittels einer der üblichen Finanztricksereien, für die schließlich wir zahlen, auch die Pensionskasse geleert. Nun stehen nicht nur Richards Angestellte mittellos auf der Straße, Häuser, Wohlstand und Lebensstandard von ihm, seiner Frau und den beiden Kindern sind auch weg.

Spontan wie in Studienzeiten, als man sich kennenlernte, geht Richard auf eine völlig verrückte und unmögliche Idee von Kate ein: In Begleitung eines befreundeten Ehepaares (die oft übersehenen englischen Meister-Mimen Timothy Spall und Celia Imrie) wollen sie sich als texanische Investoren bei der Côte d'Azur-Hochzeit der üblen Heuschrecke Vincent (Laurent Lafitte) einschleichen und seiner Braut Manon (Louise Bourgoin) einen millionen-schweren Edelstein rauben. Alles nur um die entrechteten Reichen wieder in ihren Wohlstand zu versetzen. Ein reicher Robin Hood raubt hier in Designer-Klamotten den Rosaroten Panther.

Schon der Vorspann verweist auf den „Pink Panther", den großartigen Klassiker des Krimi-Klamauks von Regisseur Blake Edwards. Und in dessen Stil gelingen auch die Komödien-Szenen: Pierce Brosnan und Emma Thompson spielen die humorigen und erst einmal unerwünschten romantischen Momente perfekt aus. Da stimmt alles und bereitet großes Vergnügen. Ein paar Alters-Scherze über Krankheiten und sonstige Hobbies werden ebenso gut ankommen wie die kleinen, gemeinen Verweise auf die Bond-Vergangenheit von Brosnan. Nachdem sich das Quartett in Taucheranzügen sehr tapsig über eine Bucht bei Cannes der geschlossenen Gesellschaft genähert hat, leidet Richard bei der anschließenden Kletterei im Agentenstil doch sehr unter seiner Höhenangst. Aber gerade in Gefahr und höchster Not flammt die nie verloschene Liebe wieder auf.

In der ebenso exzellenten zweiten Reihe ist „Wie in alten Zeiten" ein Warmlaufen für Timothy Spall, der hier als Nachbar mit geheimnisvoller Vergangenheit mitläuft: In drei Wochen zeigt er als „Mr. Turner - Meister des Lichts" seine ganze Kunst. Dafür erhielt er mehr als verdient die Goldene Palme von Cannes 2014.

Den sympathischen Spaß beschwingen britische Hits wie The Clashs „I Fought The Law". Ja, auch Richard und Kate waren mal jung und wild. Moderne Dinge wie Computer und Smartphones bleiben jedoch weitgehend fremd. Wenn die Firmen-Site des Gegners gehackt werden muss, hilft ihr Sohn per Skype-Chat aus. Dass dabei immer dessen Mitbewohner in sehr privaten Momenten erwischt wird, drückt eine gesunde Distanz zu den neuen Medien mit viel sehr Humor aus. Was solchen Jugendlichen im Kino nebenan derweil als Humor verkauft wird, also der Spaß am Ekel, bei dem man sich schon zum Auftakt mindestens mal übergeben muss, bleibt hier ganz weit weg. „Wie in alten Zeiten" halt. Man sieht quasi den Rosaroten Panther verschmitzt mit dem Auge knipsen.

Die Vampirschwestern 2 - Fledermäuse im Bauch

BRD 2014 Regie: Wolfgang Groos mit Laura Roge, Marta Martin, Christiane Paul, Stipe Erçeg, Michael Kessler 97 Min. FSK: ab 0

Früh übt sich, wer Vampirfilme aufsaugen will! Auch die zweite Verfilmung eines Kinderbuches von Franziska Gehm („Ein Date mit Biss") ist nettes Kinderkino mit nur angedeutetem Biss und zaghaftem Kuss - weil beides ja zusammengehört.

Die aus Bistrien zugereisten Vampirschwestern Dakaria (Laura Roge) und Silvania Dakaria Tepes (Marta Martin) haben sich in der Kleinstadt eingelebt. Als Halbvampire sind sie auch am Tag mit ihren Freunden unterwegs. Nur nachts fliegen sie anders als die anderen herum. Die Menschen-Mama Frau Tepes (Christiane Paul) kocht Blutspinnen-Auflauf und backt brav saure Blutchips. Papa Tepes (Stipe Erçeg) rollt beim Nachtdienst im Krankenhaus zufrieden Blutkonserven durch die Gegend. Als die wilde Dakaria heimlich und verbotenerweise zum krassen Kirchen-Konzert der Vampir-Punkband Krypton Krax davonflattert, fliegt sie sich nicht nur sofort auf den ebenfalls fliegenden Lead-Sänger Murdo (Oliver Schulz). Mit dem selbst für Vampire finsteren Manager Xantor (Georg Friedrich) bringt das Punk-Mädchen einen alten Feind auf die Spur der Familie. Derweil versucht die brave Schwester Silvania den Schein eines Camping-Ausfluges der Kinder, ihre aufkommende Schwärmerei für Jacob (Jeremias Meyer) und den ganzen Rest zusammenzuhalten.

Der sehr deutsche Vampirjäger Dirk van Kombast (Michael Kessler) als Nachbar der „Einwanderer auf dem Osten" ist symptomatisch für die bürgerliche Welt dieser Vampirgeschichten. Trotzdem liefern die beiden ganz unterschiedlichen Schwestern mit einigen gelungenen Szenen und einer netten Geschichte dem Genre frisches Blut. Als Anknüpfungspunkte für die jungen Zuschauer gibt es die Eifersucht unter Freunden aber auch bei den Eltern. Was mit Stipe Erçeg als eifersüchtigem Vampir-Papa zu dem großen Plus dieses Filmchens führt, nämlich den großen Darstellern: Erçeg („Die fetten Jahre sind vorbei", „Unknown Identity") und der sich besonders hinterhältig gebende Österreicher Georg Friedrich („Über-Ich und Du", „Mein bester Feind") liefern mehr ab, als die üblichen Verdächtigen bei Kinderfilmen meistens. Auch Richy Müller macht aus Ali Bin Schick, dem kauzigen Händler für Zauberzubehör, einen tollen Typen. Zum Spaß mit leichtem Schaudern kommt eine eigene Vampi-Sprache mit Wortschöpfungen wie „Vampi3"-Dateien oder dem „Vampibook" als sozialer Plattform für Nachtwesen.

Regisseur Wolfgang Groos zeigt nach mutigen und ungewöhnlichen Filmen wie „Hangtime - Kein leichtes Spiel" (2008) oder „Systemfehler - Wenn Inge tanzt" (2013) hier wieder seine Routine aus „Vorstadtkrokodile 3 " (2010) und dem ersten „Vampirschwestern"-Film sowie die zu erwartende Qualität einer Claussen+Wöbke+Putz-Produktion.

„Die Vampirschwestern 2" ist selbstverständlich in seiner wiederum sehr bürgerlichen Harmlosigkeit ein ganz anderer Stoff als der kunstvolle, vielschichtige Jugend-Horror beim schwedischen „So finster die Nacht" und dem US-Remake „Let me in". Oder gar beim meisterlichen dänischen „When animals dream". Doch als kleiner Vorgeschmack auf das schaurig-süße Vergnügen der Vampirgeschichten, als Einstieg in dieses Genre taugen die „Vampirschwestern" immer noch.