3.11.14

Mr. Turner - Meister des Lichts

Großbritannien, Frankreich, BRD 2014 (Mr. Turner) Regie: Mike Leigh mit Timothy Spall, Paul Jesson, Marion Bailey, Dorothy Atkinson 150 Min. FSK: ab 6

Ein Film über den berühmten Landschaftsmalers William Turner (1775-1851), über einen Giganten der Kunstgeschichte, nicht nur wegen der schieren Menge seiner Arbeiten. Als er im Alter von 76 Jahren starb, hat er dem englischen Staat fast 20.000 Bilder hinterlassen, viele andere sind vernichtet worden. Bei so einem Porträt verhebt man sich leicht, aber nicht Mike Leigh („Another Year", „Happy-Go-Lucky", „Topsy Turvy"). Der Brite hat sich mit „Mr. Turner" einen Lebenstraum verwirklicht. Gemeinsam mit langjährigen Weggefährten, wie Kameramann Dick Pope („Vera Drake"). Die Bilder, die Pope unter anderem im britischen Cornwall einfing, verschaffen immer wieder eine Ahnung dem vom Licht durchleuchteten Gemälde, sind aber auch vom deftigen Leben des von Timothy Spall grandios gespielten Film-Turners durchzogen.

Nach einer wunderbaren Eingangsszene, einem Filmgemälde mit Turner bei einer seiner Reisen in die Niederlande, erleben wir den bereits berühmten Landschaftsmaler William Turner (Timothy Spall) ganz unprätentiös. Ein Schweinskopf wird in Bild gestellt, um die massive Physiognomie des Hauptdarstellers (und auch vieler Nebenfiguren) deutlich zu charakterisieren. Dabei ist der schon zu Lebzeiten teuer geschätzte und von Königin Viktoria verachtete Künstler in seinen groben Gliedmaßen ein ungemein feiner, sensibler Mensch. Der allerdings Probleme hat, sich zu äußern. Was zu einem Grunzen als typischem Grundton seiner Persönlichkeit und des Films führt. Und der zum Weinen tatsächlich in ein Bordell gehen muss, als sein Vater (Paul Jesson), der auch Freund, Assistent, Haushälter, Galerist und Manager war, stirbt.

Höchst sinnlich sind Figur und ihre Darstellung. Beim Essen, das eigentlich Völlerei ist. Bei der triebhaften Kopulation mit dem alten Hausmädchen, das immer mehr von Läusen und Ausschlägen aufgefressen wird. Dagegen setzt Leigh dann die kultivierte Gesellschaft mit den schönen Künsten, in denen Turner nicht nur ein Lieferant für Gemälde in vielen Adelshäusern ist. Er ist anerkannt und wird geschätzt. Seine große Liebe zum Lebensende genießt er lange heimlich und unter Pseudonym, auch um den seltenen Besuchen seiner Ex-Frau, einer furchtbaren Furie, und einer noch schlimmeren Tochter zu entkommen. Dieser Turner ist ein Ungeheuer, aber ein harmloses - abgesehen von dem, was er an Leid bei seinen Frauen zurücklässt.

„Mr. Turner" liefert neben kongenialer Hommage an Turners Gemälde und neben dem Porträt einer ganz außerordentlich bemerkenswerten Person auch Kunst- und Zeitgeschichte: Timothy Spall sei dank sind wir mittendrin in den jährlichen Ausstellungen der Akademie mit ihrem Gezänk und all den Neidern. Wir erleben den animalischen Maler, der auch vor Ladys und jungen Damen auf seine Leinwand rotzt. Und wie ihn in späten Jahren neue Moden zum Abstrakten zum Außenseiter machen. Turner war ein Maler an der Grenze zur Moderne, die mit Eisenbahn und Fotografie Einzug hielt, was er selbst mit Begeisterung verfolgte.

Timothy Spall („Topsy-Turvy", „Harry Potter") verkörpert mit voller Wucht den Maler als Monolith der Kunstgeschichte und zwischen seinen Mitmenschen. Zwei Jahre hat er Unterricht genommen, um Turners Pinselstrich zu perfektionieren. Beim diesjährigen Filmfestival von Cannes wurde Spall mit dem Darstellerpreis belohnt. Dieses großartige Personen- und Epochen-Gemälde, dieses eindrucks- und kunstvolle Tableau, das immer wieder Turner in den eigenen, wundervollen Bildern zitiert, ist ein absolutes Kino-Kunstwerk und ein Muss für jeden Kunstliebhaber.