21.10.14

Am Sonntag bist du tot

Irland 2014 (Calvary) Regie: John Michael McDonagh mit Brendan Gleeson, Chris O'Dowd, Kelly Reilly, Aidan Gillen, Dylan Moran, Isaach de Bankolé, M. Emmet Walsh 105 Min. FSK: ab 16

„Ich habe mit sieben das erste Mal Samen geschmeckt. Ich wurde von einem Priester fünf Jahre lang vergewaltigt." Was für eine Eröffnung im doppelten Sinne erleben der Film und der Priester James Lavelle (Brendan Gleeson) im Beichtstuhl. Doch die erste Szene vom berührenden, schockierenden und unglaublich menschlichen „Am Sonntag bist du tot", die nur den irischen Priester Lavelle zeigt, ist erst der Auftakt. Denn die Chronik eines angekündigten Mordes beginnt mit erstaunlicher Logik. Der Unbekannte im Beichtstuhl will sich am Unschuldigen rächen: „Einen guten Priester töten, das wäre ein Schock, ich werde dich töten, weil du unschuldig bist. Du hast Zeit bis Sonntag, deine Sachen zu regeln."

Von nun an verrinnen die anscheinend letzten sieben Tage für Father Lavelle erstaunlich ruhig. Er macht keine Anstalten, den zukünftigen Mörder, den er meint erkannt zu haben, umzustimmen oder anzuzeigen. Der sichtlich in seinem stattlichen Körper ruhende Priester besucht die Menschen seiner Gemeinde und wird von seiner Tochter Fiona (Kelly Reilly) besucht, die gerade versucht hatte, sich umzubringen. Dabei zeigt sich in dieser letzten Woche eine erschreckend hässliche und zynische Menschheit vor den malerischen Kulissen irischer Landschaft. Jemand verprügelte seine untreue Frau, ein sehr wortgewandt unflätiger Pathologe ist vor allem an der frischen Witwe eines gerade eingelieferten Unfallopfers interessiert. Ein extrovertierter und hipp ordinärer schwuler Stricher preist seinen Sex mit Bischöfen. Ein neureiches Börsen-Ekel übertrifft allen anderen sogar noch. Der alte Schriftsteller, dessen ruppige Fassade schnell aufbricht, will eine Pistole für sein Lebensende.

Father Lavelle ein offener, kluger und vorurteilsfreier Mann mit großer Menschenkenntnis erduldet all diese widerlichen, filmisch schillernd dargestellten Auswüchse der Menschheit mit großer Geduld und tiefem Glauben. Er bleibt regungslos hinter dem dichten Vollbart, doch seine wachen Augen erzählen viel. Selbst als seine Kirche abgefackelt wird, verliert er nicht die Fassung. Erst als man seinem Hund Bruno die Kehle durchschneidet.

„Am Sonntag bist du tot", dessen Originaltitel Calvary auf den Kalvarienberg der Kreuzigung Jesu verweist, fängt mit der schockenden Erkenntnis an, mit der die kroatische Schein-Komödie „Gott verhüte" einen zurückließ: Das allgemeines Bewusstsein der sexuellen Übergriffe von Priestern in unfassbarem Ausmaße, hier speziell in der irischen Kirche. Doch das Erstaunliche an dem zutiefst eindrucksvollen - nach „The Guard – Ein Ire sieht schwarz" - zweiten Film von Regisseur und Autor John Michael McDonagh, ist dass er das halt Unfassbare gar nicht erst versucht, explizit zu zeigen, und es nur kurz und äußerst prägnant erwähnt. Trotzdem ist der ganze Film mit fast jeder seiner zynischen oder leidenden Figuren ein Aufschrei, ein Flehen um Freundlichkeit, Mitgefühl und letztlich um - das für Lavelle entscheidende - Vergebung.

Ein langer Abschied und die im besten Sinne moralische Bestandsaufnahme einer Gemeinde, die für das ganze Land oder die ganze westliche Gesellschaft steht. All die eindringlichen Begegnungen Lavelles mit seinen klugen Überlegungen sind eingebettet in erlesenste Einstellungen und Bildkompositionen. Jeder der Nebendarsteller könnte locker eine Hauptrolle tragen. Ein Werk, noch gewaltiger als sein Hauptdarsteller Brendan Gleeson, der im vollen Ernst einen seiner eindrucksvollsten Filme auf die Leinwand bringt.